Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
bei euch. Aber diese Angelegenheit ist wichtig. Vielleicht dauert sie ja nicht lange, und ich kann schon bald …«
»Wem machst du was vor?«, sagte Dora herzlich. »Mich schmerzt nur, dass du in die alte Heimat fliegst. Ich hätte das alles gern noch einmal gesehen.«
»Dort wird es jetzt auch bald kalt.«
»Ernie wäre ohnehin nicht nach Germany mitgekommen.« Sie legte ihm die Hand aufs Knie. »Er mag Deutschland nicht, wahrscheinlich weil dort alle Leute zwei Köpfe größer sind als er.«
»Schreib mal ’ne Karte.« Ich merkte Ernie an, dass ihm der Abschied schwerer fiel als Dora.
»Wir sehen uns wieder.« Ich bettelte fast um ihr Verständnis, zugleich spürte ich den Ausdruck meines Tickets in der Jackentasche. Zwei Tage hatte ich mir noch in Niagara Falls zugestanden. Der Flieger würde von Toronto aus starten, direkt nach Frankfurt am Main.
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Front Running , hatte Stein gesagt und die Börse als einen Ort dargestellt, wo neben legalen Gewinnen tausendmal höhere illegale Profite möglich waren als auf den sogenannten klassischen Feldern der Kriminalität. Er hatte mich damit einschüchtern, mich auf seine Seite ziehen wollen, damit ich meinen Mann von nun an als einen anderen erkennen sollte als den, den ich geheiratet hatte. Ich brauchte mein Bild von Pascal nicht umzukrempeln; in mir vollzog sich keine innere Wandlung, weil ich bestimmte Geschäfte von jeher als fragwürdig angesehen hatte. Ich war so erzogen worden, dass das, womit man seinen Lebensunterhalt verdient, die Honorierung einer wirklichen Leistung sein soll und nicht das Resultat geschickter Voraussicht von Kursschwankungen. Nur zu Beginn unserer Beziehung hatte ich mit Pascal darüber diskutiert und anerkannt, dass er sich Mühe gab, mir die Sache begreiflich zu machen. Im Dschungel von Ausdrücken wie Bund- und Buxl-Future, Swaps und Turboscheine hatte er mir die Realität seiner Berufswelt erläutert.
Es war in der Anfangszeit unserer Verliebtheit gewesen, Pascal hatte mehrere Wochen in Toronto verbracht und mein Schlafzimmer einfach in sein Büro umfunktioniert. Dort arbeitete er konzentriert, umgeben von Papieren, den Laptop auf dem Schoß, das Telefon griffbereit. Einmal abends hatte er uns Cognac eingeschenkt und gesagt: »Stell dir vor, die Firma X soll in drei Monaten einen Betrag von 10 Dollar aus einem Warenverkauf erhalten. Der Schatzmeister der Firma rechnet aber mit fallenden Wechsel kursen, weshalb er aus dem Betrag am Fälligkeitstag nur noch 8 Dollar erlösen wird. Um sich vor dem Kursverlust zu sichern, verkauft er die erwarteten 10 Dollar zum aktuellen Terminkurs, schließt einen Short-Hedge-Vertrag ab und legt darin bereits heute den Wechselkurs fest. Die Firma X macht somit ein Geschäft ohne Wechselkursrisiko.«
Wir diskutierten lange über die Moral dieser Geschäfte, ich musste feststellen, dass Pascal andere Wertmaßstäbe hatte. Er hatte mir von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, ich hatte nur nicht verstanden, wie weit das in Wirklichkeit ging. Denn was sich mit 10 Dollar erwirtschaften ließ, ließ sich natürlich auch mit 100 Millionen Dollar erwirtschaften. Nein, Pascal hatte kein Geheimnis daraus gemacht, woher sein Reichtum stammte. Nicht Steins Offenlegung wühlte mich also auf, sondern die Angst, dass Pascal mich im Stich gelassen haben könnte. Wenn er wirklich am Leben war und sich irgendwo versteckte, um sich vor Strafverfolgung zu schützen, dann war der Pascal, dem meine Liebe gehörte, gestorben. Dennoch war ich bereit, zu ihm zu halten, so lange es ging. Die Hoffnung, dass er nicht für immer verschwunden, sondern noch am Leben war, versetzte mich in eine merkwürdige Euphorie.
Mein Flieger landete pünktlich in Frankfurt. Ich hatte David aus geredet, den weiten Weg zum Flughafen zu machen. Er sollte mich vom Hauptbahnhof abholen. Wir begrüßten einander wie alte Bekannte. Nach dem langen Flug brauchte ich Bewegung und bat ihn, noch ein bisschen spazieren zu gehen. Es war noch früh am Morgen, wir liefen die Bahnhofstraße hinunter. Peepshows und Sexshops reihten sich aneinander, um diese Zeit sämtlich geschlos sen. Ich kannte Frankfurt kaum; hinter den Häusern des Bahnhofsviertels erhob sich die Skyline, die mich daran erinnerte, dass ich im Business-Zentrum von Deutschland gelandet war.
»Ich nehme mir erst mal ein Zimmer«, sagte ich, als wir an einem Hotelschild vorbeikamen. In Pascals Haus zu ziehen konnte ich mir nicht vorstellen.
»Wenn du nichts dagegen hast, mache ich dir
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