Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
Anschein geben, als hätten Sie mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun?«
»Ich wurde vor drei Jahren von Pascal geschieden«, antwortete sie sanfter. »Seitdem lebe ich mein eigenes Leben, ich habe mir alles neu aufgebaut. Warum akzeptieren Sie das nicht?«
»Weil ein Täuschungsmanöver, wie Pascal es durchgezogen hat, ohne Hilfe nicht möglich wäre – ohne Ihre Hilfe.«
»Sind Sie verrückt, in der Öffentlichkeit eine derartige Verleumdung auszusprechen?«
Die Unruhe, mit der sie sich umblickte, machte mir Mut. »Es war von langer Hand vorbereitet, das ist mir mittlerweile klar. Da rum weiß ich felsenfest, dass mein Mann nicht in Rio gestorben ist.«
»Nur um Ihren Gedankengang mitzuspielen«, sagte sie, »nehmen wir an, Pascal hätte wirklich geplant unterzutauchen. Warum sollte er so dramatische Mittel wählen? Warum nicht einfach verschwinden?«
»Weil die Suche nach ihm dann nie eingestellt würde. Sein Vermögen würde eingefroren werden, bis der Fall geklärt ist.«
»Man hat seine Konten auch jetzt gesperrt.«
»Aber nur so lange, bis er für tot erklärt wird. Danach muss das Betrugsdezernat den Fall abschließen, und Pascal kann irgendwo auf der Welt ein neues Leben beginnen.«
Sie beugte sich vor. »Pascal hat mich verlassen. Warum sollte ausgerechnet ich ihm bei seinen Plänen helfen?«
»Geld«, antwortete ich. »Hundertzwanzig Millionen sind ein starkes Motiv.«
»Diese Millionen sind ein Hirngespinst der Behörde. Hat der Ermittler Ihnen jemals irgendwelche stichhaltigen Beweise gezeigt?« Auf mein Schweigen fuhr sie fort: »Wie können Sie dann so leichtgläubig sein?«
»Ich kenne Pascal.«
»Das ist eine fadenscheinige Antwort.«
Sie hatte recht. Der einzige Beweis, auf den ich mich stützte, war Pascals Brief. Aber mein Mann hatte die Börsenaufsicht, das Betrugsdezernat und mich belogen – warum sollte er in seinem Liebesbrief nicht einfach weitergelogen haben? Trotz allem war ich sicher, Jessica gehörte zum Zuermatt-Clan. Ich hatte bloß keine Ahnung, wie ich es ihr entlocken sollte.
»Wenn Sie in die Sache nicht eingeweiht waren«, sagte ich, »muss die Familie dahinterstecken. Pascals Mutter schien mir sehr daran gelegen zu sein, dass der Fall bald abgeschlossen wird.«
»Ist das nicht verständlich? Man verdächtigt ihren Sohn, in eine Betrugsaffäre verstrickt zu sein. Lisbeth ist alt, sie will Frieden.«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie eine zerbrechliche alte Dame ist. Diese Frau haut so schnell nichts um.« Ich seufzte. »Da werde ich wohl noch einmal in die Schweiz müssen und mit Frau Zuermatt sprechen.«
Hinter Jessica öffnete sich die Fahrstuhltür. Ein kleiner Junge trat heraus, gefolgt von einer mütterlich wirkenden Person, die seine Jacke trug. Die Ähnlichkeit war nicht auffallend, und doch wusste ich, dort kam Pascals Sohn auf mich zu. Robbie war für einen Jungen seines Alters erstaunlich konservativ gekleidet. Gebügelte Hose, dunkler Pulli, das steife Hemd gab ihm etwas von einem Businessman im Taschenformat.
»Ich habe einen Papierflieger ins Zimmer gegenüber geschossen«, sagte er, als er seine Mutter erreichte.
»Was hast du?« Jessica wandte sich fragend an die andere Frau.
»Ich konnte es nicht verhindern.« Ihre Stimme war herb. »Die Fenster der Hotelzimmer liegen nahe beisammen.«
»Das Ding ging vielleicht ab!« Lachend nahm er Jessicas Hand. In seinem Lächeln erkannte ich Pascal. »Komm, ich hab Hunger.«
Jessica schaute auf die Uhr. »Wir sind in zwei Stunden wieder zurück«, sagte sie. »Solange haben Sie frei.«
Das Kindermädchen nickte und verschwand.
»Mein Sohn und ich gehen jetzt essen.«
Damit war unser Gespräch beendet. Ein Blick zwischen mir und Robbie, er musterte mich mit vollkommenem Desinteresse. Auch diesen Blick kannte ich von Pascal: Wenn ihm jemand nichts bedeutete, konnte er denjenigen einfach ausblenden. Jessica gab mir nicht die Hand, sondern legte ihren Arm um Robbies Schulter. Während sie das Hotel verließen, überkam mich die Erkenntnis, wie viel Jessica mir voraushatte. Welche Rolle hatte ich für Pascal gespielt, welche Rolle hatte er mir zugewiesen? Draußen gingen Mutter und Sohn an den Scheiben vorbei. Nun bekam die Bemerkung des Concièrge eine andere Bedeutung: Die Herrschaften sind nicht auf dem Zimmer. Jessica war nicht mit ihrem Geliebten in Paris, sondern mit jemand weitaus Wichtigerem: mit der großen Liebe ihres Lebens.
25
Trotz ihres anstrengenden Tages wirkte Irina frisch
Weitere Kostenlose Bücher