Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
anstellen? Ich spürte seinen Ellbogen an meinem Arm, seinen Schenkel neben meinem.
David wechselte das Thema. »Du hast mal angedeutet, dass euer Haus in Toronto gebrannt hat. Wie ist das passiert?«
Auch wenn ich annahm, dass er sich nicht wirklich für meine Familiengeschichte interessierte, erzählte ich, dass es einen jahrelangen Zwist zwischen meinen Eltern und unserem Nachbarn gegeben hatte. Dem Nachbarn war die Zeder in unserem Garten ein Dorn im Auge, weil sie ihm die Sonne nahm. Mein Vater hatte sich geweigert, den Baum zu fällen. Es wurde ein zermürbender Kleinkrieg daraus. Mal lag unser Müll morgens in der Einfahrt, dann ließ sich mein Vater hinreißen, ein scharfes Reini gungsmittel über die Rosen des Nachbarn zu gießen. Einmal wur de sogar Hundescheiße an den Griff unserer Autotür geschmiert. Mein Vater war ein jähzorniger Mann mit wenig Rückgrat. Obwohl er sich kampfeslustig gab, zermürbte ihn die Auseinandersetzung. Dazu kam, dass sich die Gattinnen der Streithähne gut verstanden. Meine Mutter und die Frau des Nachbarn mussten jedes Mal schlichten, wenn sich einer der beiden wieder hatte hinreißen lassen.
»Den Rest erfährst du nach der nächsten Werbepause«, scherzte ich, und auf Davids verständnislosen Blick: »Ich muss mal.«
Als ich vom Bad zurückkam, hatte er uns nachgeschenkt, stieß mit mir an und nahm selbst einen kräftigen Schluck.
»Es war ein schlimmes Unglück. Der dämliche Nachbar versuchte in unserer Abwesenheit, die Zeder abzufackeln. Er stapelte Pappkartons rund um den Baum und tränkte alles mit Benzin. Dann setzte er sie in Brand. Die Zeder ist ein immergrüner Baum, doch wir hatten Herbst, die Nadeln waren trocken, der Plan des Brandstifters gelang. Dass die Holzverkleidung unseres Hauses ebenso ausgetrocknet war, hatte er übersehen. Es stand so schnell in Flammen, dass die Feuerwehr nichts weiter ausrichten konnte, als ein Übergreifen des Feuers zu verhindern.«
Ich sah David an. Der Ausdruck in seinen Augen hatte sich verändert. Nicht mehr der sympathische Schuft, der sich gratis den Bauch vollschlug – da war etwas anderes.
»Was ist?«
»Erzähl weiter.« Er legte die Serviette beiseite.
»Der Fall war klar: Der Nachbar kam wegen Brandstiftung ins Gefängnis, die Versicherung musste zahlen. Meine Eltern hätten sich ein neues Haus leisten können. Doch seit mein Vater in jener Nacht den verkohlten Strunk der Zeder gesehen hatte, wie sie leblos in den Himmel ragte, ging eine Veränderung in ihm vor.«
Ich rutschte zur Seite, David nahm von den Kartoffeln.
»Der sterbende Baum wurde ein Symbol für ihn, er verlor seine Energie und seinen ganzen Lebensmut. Er redete meiner Mutter aus, auf dem Grundstück ein neues Haus zu bauen; zu viele Erinnerungen, sagte er. Sie hätten sich woanders ein Haus kaufen können, doch merkwürdigerweise mietete er ein Apartment und legte das Geld in Papieren an. Was willst du?«, fragte ich, da David nicht auf seine Seite zurückrückte.
»Und die Papiere gingen den Bach runter, habe ich recht?«
»Genau.«
»Was geschah mit dem Nachbarn?« Scheinbar absichtslos legte er seine Hand neben meine Hüfte.
»Irgendwann kam er aus dem Knast und genoss von da an die viele Sonne, die auf sein Grundstück schien. David, hör mal, ich muss dir doch nicht klarmachen, dass zwischen uns nichts läuft?« Ich schob seine Hand zur Seite.
»Warum nicht?«
»Weil … Bist du verrückt?«
»Tony, seit wir in Frankfurt zusammen waren, kriege ich dich nicht mehr aus meinem Kopf. Obwohl du erfahren hast, was in der Schweiz gelaufen ist, obwohl du alles erfahren hast – ich kann es nicht ändern: Ich habe mich in dich verliebt.« Er rückte so heftig näher, dass der Teller zu Boden fiel. »Es tut mir wahnsinnig leid, dass wir uns unter solchen Umständen kennenlernen mussten, dass du mir wahrscheinlich nie mehr vertrauen wirst.« Zögernd berührte er meine Schulter.
»David!, wenn du selbst nicht kapierst, wie grotesk dein Angebot ist …!«
In seinen Augen war Wärme, zugleich Entschlossenheit. »Warum? Wieso können wir nicht einfach noch mal von vorn anfangen?« Er machte eine Geste nach draußen. »Eine Herbstnacht in einem französischen Schloss – wäre das nicht wunderbar?«
»David, du gehst jetzt.«
»Bei diesem Sauwetter?« Er verzog den Mund.
»Du gehst sofort! Ich will nicht, und Schluss.«
Was mir Angst machte, war nicht David, sondern ich selbst. In diesem Moment wäre ich zu einem verrückten Abenteuer
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