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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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»Himmel! Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung!«
    Er rieb sich mit beiden Händen die brennenden Augen. Er fühlte sich, als habe er jahrelang nicht geschlafen.
    »Oh, Grace! Ich glaube, ich kann kaum noch geradeaus gucken. Wie geht es Kim? Schläft sie?«
    »Wie ein Murmeltier. Sir, Sie sollten jetzt auch ins Bett gehen. Ich glaube nicht, dass … dass Mrs. Quentin heute Nacht noch anruft. Sie wird weder uns noch Kim aus dem Schlaf reißen wollen.«
    Er wusste, dass sie Recht hatte. Natürlich würde heute Nacht nichts mehr geschehen.
    Er stand auf. »Ich gehe hinüber. Wenn sie doch noch anruft …«
    »Dann sage ich Bescheid. Jetzt versuchen Sie mal, ein bisschen zu schlafen, Sir. Sie sehen wirklich zum Gotterbarmen aus.«
    Sie begleitete ihn zur Haustür, drückte ihm Jacks Taschenlampe in die Hand, damit er seinen Weg durch den Park fand. Er atmete tief. Die frische, kühle Luft tat ihm gut, das Laufen auch. Er hatte viel zu lange auf ein und demselben Fleck gesessen.
    Am Haus schloss er leise die Tür auf und trat ein. Er wollte Livia nicht wecken, die ihren Schlaf ganz sicher auch brauchte. Doch als er das Licht im Flur anschaltete, sah er sie auf der Treppe sitzen. Sie trug ein Nachthemd von Virginia, das er ihr gegeben hatte, und hatte sich in eine grüne Wolldecke gehüllt. Sie war weiß wie die Wand.
    »Livia! Sie sitzen hier im Dunkeln?«
    »Ich konnte nicht schlafen.«
    »Warum haben Sie dann nicht wenigstens den Fernseher eingeschaltet? Oder sich ein Buch geholt?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur nachgedacht.«
    »Und worüber?«
    »Über die Situation. Meine Situation. Wie es passieren konnte, dass …«
    »Was?«
    »Dass ich jetzt hier sitze.« Sie machte eine Handbewegung, die den Flur, das Haus meinte. »In einem geliehenen Nachthemd mit einer geliehenen Decke um die Schultern. Wissen Sie, was mir vorhin einfiel? Ich besitze nicht einmal mehr einen Pass. Keinen Führerschein. Absolut nichts.«
    »In all diesen Angelegenheiten würde Ihnen die deutsche Botschaft weiterhelfen.«
    »Ich weiß.«
    Er seufzte, strich sich über die Augen, die vor Müdigkeit brannten. »Aber das hatten wir ja schon. Die Botschaft kann Ihnen kein neues Zuhause beschaffen. Es ist …« Er schüttelte den Kopf. »Ich sollte jetzt wahrscheinlich gar nicht weiter darüber sprechen. Im Grunde bin ich viel zu erschöpft. Sicher bringe ich kaum noch einen klaren Gedanken zustande.«
    »Sie müssen unbedingt schlafen«, sagte Livia. Nach einem kurzen Zögern fügte sie hinzu: »Sie … hat nicht noch einmal angerufen, nicht wahr?«
    »Nein. Ich vermute, sie konnte sich ausrechnen, dass ich vor dem Telefon sitze wie ein Hund vor dem Knochen. Und mit mir will sie offenbar unter keinen U mständen ein Wort wechseln.« Er überlegte. Obwohl er völlig erledigt war, rumorten Fragen über Fragen in seinem Kopf. Am Ende würde er gar nicht schlafen können, wenn er sie nicht wenigstens angeschnitten hatte.
    »Sowohl Grace Walker als auch Kim waren absolut sicher, dass Virginia aus einem Auto heraus telefonierte. Und sie machte laut Grace nicht den Eindruck, als sei sie verstört oder verzweifelt. Es war wohl nicht so, dass sie gegen ihren Willen in diesem Auto saß.«
    »Hatten Sie das erwartet?«
    Er nickte. »Es war Teil meiner Überlegungen, ja. Dass Nathan Moor sie …«
    »Dass er sie verschleppt hat?«
    »Liegt der Gedanke nicht durchaus nahe, wenn zwei Menschen gleichzeitig verschwinden und man zumindest einen von ihnen noch nie zuvor so egozentrisch und rücksichtslos erlebt hat?«
    »Aber warum sollte Nathan Virginia entführen?«
    »Um Geld zu bekommen?«
    »Nein!« Sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf. »So ist er nicht. Er ist nicht kriminell. Er erzählt Geschichten, die nicht stimmen, er biegt sich die Wirklichkeit so lange zurecht, bis sie für ihn passt, aber er ist kein Verbrecher. Wenn Virginia jetzt mit ihm zusammen ist, dann ist sie das freiwillig. Daran gibt es für mich keinen Zweifel.«
    So wenig Frederic die Vorstellung gefallen hatte, dass Virginia entführt worden war, so unangenehm und beängstigend erschien ihm auch der Gedanke, dass Virginia aus freien Stücken mit Nathan Moor durchgebrannt war. Diese Möglichkeit barg Bilder in sich, die er in seinen schlimmsten Träumen nicht sehen wollte.
    »Nun«, sagte er in scharfem Ton, »vielleicht gibt es verschiedene Anschauungen, was den Begriff kriminell betrifft. Ich würde sagen, alles, was Sie mir über ihn erzählt haben, zeigt

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