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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nicht gerettet hast. Aber das alles reicht mir nicht aus, dich zu erklären. Was hat dich in die Dunkelheit von Ferndale gejagt, Virginia? Wovor versteckst du dich unter den Bäumen dort? Was quält dich so, dass du nicht leben magst?«
    Sie starrte zum Horizont. Der Gipfel des Sgurr Alasdair tauchte erneut aus den zerfetzten Wolken auf, übergossen nun vom Abendlicht. Anstelle einer Antwort nickte sie Nathan zu.
    »Lass uns jetzt über die Brücke fahren«, sagte sie.
     

Samstag, 2. September
     
    1
     
    Seit Stunden schon starrte er den Telefonapparat an, zuerst hoffnungsvoll, später zunehmend zermürbt, müde und frustriert. Er glaubte schließlich nicht mehr, dass sich Virginia noch einmal melden würde. Seit ihm Jack von dem Anruf berichtet hatte, saß er vor dem Apparat im Wohnzimmer der Walkers und hoffte, er würde noch einmal die Gelegenheit bekommen, mit Virginia zu sprechen. Er war sich fast sicher, dass sie nicht im Haupthaus anrufen würde, denn es ging ihr offenbar ausschließlich um eine Kontaktaufnahme mit Kim, und solange sie diese bei den Walkers wusste, würden die ihre Anlaufstelle sein. Obwohl sie vielleicht vermutete, dass sie dort auch auf ihren Mann treffen würde.
    Er hatte es noch einige Male auf ihrem Handy versucht, war aber wie zuvor stets nur auf der Mailbox gelandet. Sie hatte den Apparat wahrscheinlich ausgeschaltet, was bedeutete, sie wollte tatsächlich auf keinen Fall von ihrem Mann behelligt werden.
    Warum nur?, fragte er sich schon die ganze Zeit, warum nur? Was ist denn bloß geschehen? Was habe ich ihr getan?
    Lag es an dem Fest? Hatte er sie derart überfahren, hatte sie sich so sehr unter Druck gefühlt, dass sie nur noch davonlaufen konnte? Sie hatte zögernd, sehr zögernd eingewilligt, das stimmte, doch er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass sie in Panik war. Sie hatte sich sogar ein neues Kleid gekauft. Das hatte er als ein absolut positives Zeichen gewertet. Frauen, die sich für einen gesellschaftlichen Anlass ein neues Kleid kauften, befanden sich nicht in einem völlig desolaten Zustand. Hatte er jedenfalls gedacht. Jetzt fand er, dass es für diese Annahme nicht den geringsten Beweis gab.
    Er hatte in London bei den Gastgebern des festlichen Abends angerufen und sich und seine Frau entschuldigt. Sie sei sehr heftig erkrankt, er könne sie im Moment nicht allein lassen. Auf der anderen Seite reagierte man sehr höflich, aber er hatte den Eindruck, dass man ihm nicht glaubte. Dann telefonierte er mit einem Parteifreund, um ihn ebenfalls in Kenntnis zu setzen, dass er nicht da sein würde. Er blieb bei der Version von der erkrankten Ehefrau, hatte aber wiederum den Eindruck, dass ihm nicht so recht Glauben geschenkt wurde.
    »Das ist ganz und gar ungünstig«, hatte der Freund gesagt, »ausgerechnet diesen Abend abzusagen!«
    »Ich weiß. Ich habe es mir nicht ausgesucht.«
    »Du musst wissen, was du tust.«
    Ja, dachte er nun, ich muss wissen, was ich tue. Und es verantworten.
    Die Zeiger der Standuhr in der Ecke verrieten, dass es schon halb eins in der Nacht war. Er saß nun schon über fünfzehn Stunden in diesem Zimmer. Grace hatte ihm Essen angeboten, aber er hatte keinen Hunger, nahm nur dankend den Kaffee, den sie ihm brachte. Zweimal im Lauf des Tages und einmal am Abend hatte das Telefon geklingelt, und er hatte sofort den Hörer abgenommen, aber einmal war es ein Handwerker gewesen, der einen Termin bestätigte, einmal eine Freundin von Grace und einmal ein Kumpel von Jack, der die übliche sonntägliche Kneipentour verabreden wollte. Ansonsten blieb alles still.
    Sie würde nicht mehr anrufen.
    Er hätte nach London fahren und an der Party teilnehmen sollen, anstatt hier sinnlos herumzusitzen und auf etwas zu warten, das nicht geschah. Unter seiner Müdigkeit begann sich Zorn zu regen. Es war so unfair von ihr! Was immer ihre Gründe sein mochten, wie verständlich sie vielleicht am Ende auch waren – es war unfair, einfach davonzulaufen. Sie hätte mit ihm reden müssen. Notfalls mit ihm streiten. Aber nicht einfach verschwinden.
    Ich will jetzt nicht in Wut geraten. Mir fehlt die Energie. Wenn ich jetzt wütend werde, klappe ich zusammen.
    Er erschrak, als hinter ihm ein Niesen erklang. Es kam von Grace, die gerade das Zimmer betrat, im weißen, bodenlangen Morgenmantel, der über und über mit roten Rosenknospen bestickt war.
    »Sie sind ja immer noch hier, mein Gott! Sie sehen todmüde aus, Sir, wenn ich das so sagen darf.« Sie nieste erneut.

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