Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
fühlte sich tagsüber gepeinigt von alten Bildern und Erinnerungen.
    Natürlich wusste sie, woran das lag. Sie hielt Michael nicht länger in sich verschlossen. Und Tommi. Den kleinen Jungen, den Michael so sehr geliebt hatte. Sie hatte begonnen sich zu öffnen, und nun drängte die Flut stärker und gewaltsamer nach draußen, als sie das geahnt hatte. Ob es ihr gefiel oder nicht, sie konnte jedenfalls nicht mehr zurück.
    Sie hatte nicht mehr von Michael sprechen wollen, aber während sie und Nathan so da saßen in diesen kühlen, trüben Morgenstunden, hatte sie es doch getan. Sie hatte weitererzählt, einmal mehr verwundert, weshalb sie ausgerechnet diesem Fremden soviel Vertrauen entgegenbrachte. Vielleicht tat sie es, weil er fremd war. Aber nicht nur deshalb. Es hing auch mit ihm, mit seiner Person zusammen. Dieser Mann bewegte etwas in ihr, ohne dass sie genau hätte sagen können, was es war. Sie dachte, dass sie es womöglich auch gar nicht wissen wollte. Dass es besser wäre, darüber nicht einmal nachzudenken.
    »Irgendwie hatte die Situation damals Ähnlichkeit mit Ihrer heutigen Situation«, sagte er nun.
    Da sie sich gerade mit seiner Person und nicht mit ihrer eigenen Vergangenheit beschäftigt hatte, brauchte sie eine Sekunde, um zu begreifen, wovon er sprach.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte sie überrascht.
    »Na ja, ein bisschen kommen Sie mir heute so vor wie die Virginia vor ungefähr zwölf Jahren. Nicht wirklich glücklich in der Beziehung, die Sie führen, aber sehr geborgen, sehr beruhigt. Trotzdem … ist es nicht das, was Sie suchen.«
    Sie fingerte an ihrer Tasse herum. Hatte er recht? Und sollte sie ihm wirklich all diese Einblicke in ihr Leben gestatten?
    Ich habe damit angefangen, dachte sie, nun kann ich nicht gut entrüstet sein.
    Die Küchentür ging auf, und Kim kam herein. Sie trug ihren Schlafanzug, war barfuß und hatte das Telefon in der Hand.
    »Daddy ist am Telefon!«, verkündete sie.
    Virginia hatte das Läuten überhört. Sie war so vertieft gewesen in eine andere Zeit. Gern hätte sie noch herausgefunden, ob Kim ihrem Vater von Nathans Anwesenheit im Haus erzählt hatte, aber dafür blieb keine Zeit.
    »Hallo, Frederic?«, fragte sie.
    Er hatte am Vorabend nicht angerufen. Sie ihn auch nicht. Das Thema Dinnerparty stand allzu problematisch zwischen ihnen.
    »Guten Morgen«, sagte Frederic. Seine Stimme klang kühl. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen?«
    »Ja. So einigermaßen. Ich …«
    »Ich wollte dich gestern Abend nicht weiter bedrängen, deshalb habe ich mich nicht mehr gemeldet.«
     »Frederic, ich …«
    »Kim hat mir gerade etwas sehr Seltsames erzählt«, fuhr Frederic fort. »Stimmt es, dass dieser Moor aus Deutschland bei euch wohnt?«
    Es war klar gewesen, dass Kim plappern würde. Virginia hatte nur gehofft, dass es nicht so schnell geschehen würde.
    »Ja«, sagte sie, »übergangsweise. Er …«
    »Seit wann?«
    Sie mochte ihren Mann nicht anlügen. Nicht wegen Nathan und vor allem nicht in dessen Gegenwart. »Seit Samstag.«
    Sie konnte hören, wie Frederic am anderen Ende der Leitung den Atem einsog. »Seit Samstag? Und du sagst mir kein Wort?«
    »Ich weiß ja, wie du dazu stehst.«
    »Was ist mit seiner Frau?«
    »Die liegt hier in King's Lynn im Krankenhaus. Sie wird wegen ihres Schocks behandelt. Das war oben auf Skye nicht möglich.«
    »Aha. Und in Deutschland ist das auch nicht möglich?« Was sollte sie dazu sagen? Sie verstand es schließlich selbst nicht.
    »Ich wollte dir eigentlich etwas sehr Schönes mitteilen«, sagte sie hastig. Das entsprach nicht der Wahrheit: Sie hatte ihm keineswegs schon sagen wollen, dass sie nach London kommen würde. Wenn er es wusste, gab es für sie keine Möglichkeit mehr zum Rückzug. Dann war sie gefangen.
    »Ich habe mir gestern Mittag ein neues Kleid gekauft«, fuhr sie rasch fort. »Weil ich beschlossen habe, dich am Freitag zu der Party zu begleiten.«
    Nun herrschte erst einmal Schweigen in der Leitung.
    Nach etlichen Sekunden fragte Frederic zutiefst überrascht: »Wirklich?«
    »Ja. Und ich …« Sie überlegte kurz, ob sie sich noch weiter nach vorn wagen sollte, aber auf einmal war ihr ganz klar, dass nun alles schnell gehen musste: Sie musste schnell bei Frederic sein. »Ich komme bereits am Donnerstag, wenn dir das recht ist. Übermorgen also schon. Ich denke, das wird weniger stressig, als wenn ich mich am Freitag erst auf den Weg mache.«
    Wiederum hatte sie ihn so sehr erstaunt, dass er nicht

Weitere Kostenlose Bücher