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Das Echo der Schuld

Das Echo der Schuld

Titel: Das Echo der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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»Nehmen Sie. Es hilft manchmal.«
    Sie zog eine Zigarette heraus und ließ sich von Nathan Feuer geben. Sie registrierte sein elegantes silbernes Feuerzeug und die Wärme und Kraft, die von seinen Händen ausgingen. Als seine Finger ihre berührten, lief eine Gänsehaut ihren Arm hinauf.
    »Woher haben Sie plötzlich Zigaretten?«, fragte sie.
    »Gestern in King's Lynn gekauft«, erwiderte er gleichmütig.
    Sie hatte völlig vergessen, ihn zu fragen, ob er am Vortag in jenem Cafe gewesen war. Sie hatten am gestrigen Abend zusammen gekocht und gegessen und dann mit Kim am Küchentisch gesessen und Spiele gespielt, und es hatte eine so fröhliche, ausgelassene Stimmung geherrscht, dass sich Virginia nicht mehr erinnert hatte, wie perplex und konsterniert sie gewesen war. Nun fiel es ihr wieder ein.
    »Ich habe Sie gestern vor einem Cafe in der Stadt gesehen«, sagte sie, »und mich sehr gewundert. Sie hatten gar nicht erwähnt, dass Sie …«
    Er lächelte. »Ich wusste nicht, dass ich so etwas ankündigen muss.«
    Sie nahm einen hastigen Zug von ihrer Zigarette. »Das müssen Sie natürlich nicht. Ich war auch einfach nur … überrascht. «
    »Ich langweilte mich«, erklärte Nathan, »und beschloss, mich für zwei Stunden in ein Cafe zu setzen und Zeitung zu lesen. Ich tue das hin und wieder sehr gern, wissen Sie.«
    »Ein weiter Weg ohne Auto.«
    »Ich bin gut zu Fuß.«
    »Auch im strömenden Regen?«
    »Regen ist für mich kein Hinderungsgrund.« Er zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. Übergangslos sagte er: »Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen und noch etwas arbeiten.«
    »Schreiben?«
    »Das ist mein Job. Und ich fürchte, ich muss langsam wieder ans Geldverdienen denken.«
    »Woran schreiben Sie gerade?«
    »Ich beschreibe eine Weltreise.« »Aber …«
    »Ich glaube, sie wird mit einem Schiffsuntergang beginnen. Manchmal ist der Verlauf von Weltreisen etwas ... eigenwillig.«
    »Aber Sie werden die Reise doch gar nicht fortsetzen können.«
    Er starrte an ihr vorbei. »Nicht so, wie ich sie geplant hatte, nein. Es wird eine andere Reise werden – eine ganz andere.«
    »Vielleicht lese ich dieses Buch ja irgendwann einmal«, sagte Virginia.
    »Vielleicht.«
    Schweigend rauchten sie ihre Zigaretten zu Ende. Der warme Rauch wogte durch die Küche. Sie konnten Kim hören, die aus dem Haus stürmte. Die Bäume jenseits der Fenster schienen die Mauern des Hauses beinahe zu streicheln.
    Ich glaube, ich würde gern ein paar Bäume fällen lassen, dachte Virginia. Es müsste schön sein, den Himmel sehen zu können.
    Und im nächsten Moment dachte sie: Ich will nicht nach London. Ich will es einfach nicht!
     
    »Ich habe es vor einer halben Stunde im Radio gehört«, sagte Grace, »es ist einfach entsetzlich!«
    Sie stand in ihrer gemütlichen, kleinen Küche mit den geblümten Vorhängen an den Fenstern und dem alten Sofa in der Ecke, auf dem eine dicke Katze lag und schlief. Überall an den Wänden hingen getrocknete Lavendelsträußchen, dazwischen, auf weiß gestrichenen Regalbrettern, präsentierte Grace ihre eindrucksvolle Sammlung von Tassen mit den Konterfeis der königlichen Familie darauf. Der Prince of Wales lächelte gleich neben seiner Mutter, der Queen, und daneben befand sich ein Kinderbild, das Prinz William im Alter von drei Jahren zeigte. Es mussten an die fünfzig Tassen sein. Täglich wurden sie von Grace liebevoll abgestaubt, eine Fleißarbeit, die Virginia immer wieder in stumme Bewunderung versetzte.
    Von Jack konnte man nur die Beine sehen. Er lag auf dem Rücken unter der altmodischen Spüle, zur Hälfte verborgen von dem gerüschten Vorhang, der den Spültisch abtrennte. Er schimpfte leise vor sich hin.
    »Ich weiß nicht, was du da immer reinschmeißt, Grace«, erklang es etwas dumpf. »Mindestens einmal die Woche liege ich hier und schraube die verdammten Rohre auseinander, nur weil du mal wieder alles verstopft hast!«
    Im Spülbecken stand das schaumige Wasser bis fast zum Rand.
    »Die Rohre sind einfach zu alt«, sagte Grace. »Ich traue mich schon fast gar nicht mehr, überhaupt noch zu spülen. Irgendetwas verkeilt sich immer, und schließlich geht gar nichts mehr durch.«
    »Grace sagt, ich kann bei ihr bleiben, Mummie«, sagte Kim, die vor dem Sofa kauerte und der Katze beim Schlafen zusah.
    »Ist das wirklich in Ordnung, Grace?«, fragte Virginia. »Es wäre nur von Donnerstagmittag bis Samstagabend.«
    »Das ist doch gar keine Frage«, sagte Grace, »Sie wissen doch,

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