Das Echo der Schuld
Landsitz arbeiten zu können.
»Jack, hier ist Frederic Quentin. Ich stehe gerade am King's-Cross-Bahnhof in London und …«, er lachte verlegen und fragte sich gleich darauf, weshalb er eigentlich alles noch schlimmer machte, indem er lachte, »und warte vergeblich auf meine Krau. Sie ist nicht in dem Zug gewesen, den wir vereinbart hatten. Und …«
»Nicht?«, fragte Jack überrascht.
»Nein. Und da wollte ich fragen … sie wollte ja Kim zu Ihnen bringen. Hat sie das getan?«
»Ja. Heute Mittag schon. Wie vereinbart.«
Diese Auskunft zumindest beruhigte Frederic ein wenig. Zu irgendeinem Zeitpunkt heute hatte Virginia wenigstens vorgehabt, tatsächlich nach London zu reisen.
»Haben Sie sie zum Bahnhof gebracht?«, erkundigte er sich.
»Das wollte sie nicht.« Jack klang ein wenig gekränkt. »Ich habe es natürlich angeboten. Aber sie wollte ihren kleinen Wagen nehmen und ihn dann dort stehen lassen. Ehrlich gesagt halte ich so etwas nicht für vernünftig. Aber …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Frederic konnte sich vorstellen, wie er beleidigt die Schultern zuckte.
Er fand das allerdings auch merkwürdig. Andererseits aber nicht vollkommen außergewöhnlich. Sie war sicher nervös gewesen. Hatte vielleicht einfach keine Lust auf Jacks unvermeidliche politische Monologe gehabt, die eine höchst schlicht gestrickte Weltsicht offenbarten, die man nicht in jeder Gemütsverfassung ertragen konnte. Frederic war es auch manchmal so ergangen.
»Ich würde gern kurz mit Kim sprechen«, sagte er.
»Sie ist mit Grace draußen. Beeren pflücken. Ich schau mal, ob sie in der Nähe sind.«
Frederic konnte hören, dass der Hörer abgelegt wurde und dass sich Jacks Schritte entfernten. Eine Tür knarrte. Gedämpft vernahm er die Stimme, die abwechselnd nach Kim und Grace rief. Dann hörte er das Getrappel schneller Füße und Kims aufgeregte Stimme: »Daddy ist am Telefon?«
Gleich darauf schnaufte sie in den Hörer. »Daddy! Wir haben ganz viele Brombeeren gepflückt! Sie sind riesig und ganz süß!«
»Wie schön, mein Schatz.«
»Kommst du bald? Dann zeige ich dir, wo sie wachsen. Es sind noch viele da!«
»Ich komme bald«, versprach er. Dann fügte er hinzu: »Sag mal, Mummie hat dir doch gesagt, dass sie zu mir nach London kommen will, oder?«
»Ja. Und dass ihr beide am Samstag wiederkommt.«
»Hm. Sie hat gar nichts davon erwähnt, dass sie es sich vielleicht anders überlegt hat?«
»Nein. Wo ist Mummie denn?«
Im Hintergrund konnte er nun Grace und Jack hören.
»Was heißt das?«, fragte Grace gerade. »Sie ist nicht in London angekommen?«
»Es heißt, was es heißt«, brummte Jack. »Wahrscheinlich ist sie in den falschen Zug gestiegen. Ich wollte sie ja zum Bahnhof bringen, aber nein! Sie kommt ja allein bestens zurecht!«
»Wo ist Mummie?«, drängte Kim.
»Mummie hat vielleicht den falschen Zug erwischt«, nahm er Jacks Vermutung auf, obwohl er nicht daran glaubte. »Du musst dir keine Sorgen machen. Mummie ist erwachsen. Sie kann auf sich aufpassen. Sie wird in einen anderen Zug umsteigen und zu mir nach London kommen.«
»Ich darf aber noch bei Grace und Jack bleiben?«
»Klar. Hör mal«, ihm fiel noch etwas ein, »was ist denn aus … wie hieß er noch? Nathan. Was ist aus Nathan Moor geworden?«
»Er ist so nett, Daddy. Er hat gestern einen Spaziergang mit mir gemacht. Dabei hat er mir gezeigt, wie man eine Spur auslegt, damit man den Rückweg findet. Man muss …«
»Schon gut, Schatz, das erzählst du mir am besten ein anderes Mal. Hat Mummie ihn heute irgendwo hingebracht? Zu einem anderen Haus oder zum Bahnhof?«
»Nein«, sagte Kim verwirrt.
Er seufzte. Wenn Kim seit dem Mittag bei den Walkers war, hatte sie nicht mehr mitbekommen können, wohin sich Nathan Moor abgeseilt hatte. Oder besser: wohin er abgeseilt worden war. Den Anstand, von selbst zu gehen, hatte er vermutlich nicht besessen.
Grace hatte Kim offenbar den Hörer aus der Hand genommen, denn nun erklang ihre Stimme: »Mr. Quentin … Sir … mir gefällt das gar nicht. Soll ich nicht zum Haus hinübergehen und nachsehen? Ich meine, ob Mrs. Quentin wirklich abgereist ist. Vielleicht …«
»Ja?«
»Na ja, nicht, dass sie irgendwie unglücklich gestürzt ist und sich nicht melden kann oder so etwas!«
An etwas Derartiges hatte er noch gar nicht gedacht. Es war sicher vernünftig, Grace nachsehen zu lassen. Kurz überlegte er, ob es sein konnte, dass Virginia dem Widerling Nathan Moor am Ende gestattet
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