Das Echo der Schuld
sollen.
Idiot, der er gewesen war. Beschäftigt nur mit seinen momentan wichtigen Belangen. Und deshalb raste er nun durch diese dunkle, wolkige Nacht. Hatte Glück, wenn er nicht von der Polizei gestoppt wurde. Und hatte keine Ahnung, was auf ihn zukommen würde.
Freitag, 1. September
1
Es war kurz nach Mitternacht, als er in die Auffahrt zu Ferndale House einbog. Entlang des gewundenen Wegs brannten Laternen. Er konnte die dicht belaubten Bäume sehen. Es war, als führe man durch einen tiefen Wald.
Mit steifen Gliedern kroch er aus dem kleinen Leihwagen, kramte seine Schlüssel hervor. Er entsicherte die Alarmanlage, dann schloss er die Haustür auf. Im Flur roch es schwach nach Virginias Parfüm. Der Geruch kam von ihren Mänteln und Schals, die an der Garderobe hingen. Ganz kurz senkte er sein Gesicht in eine Jacke aus flauschigem Mohair. Es roch so warm und so tröstlich.
»Wo bist du nur?«, murmelte er. »Wo bist du denn nur?«
Er schaltete die Lichter ein, ging in die Küche. Der Wasserhahn an der Spüle tropfte ein wenig, geistesabwesend drehte er ihn fester zu. Die Küche war sauber aufgeräumt, alle Arbeitsflächen und auch der Esstisch ordentlich gewischt. Die Pflanzen am Fenster – hauptsächlich Kräuter – hatten frisches Wasser bekommen; er sah, dass die Teller unter den Töpfen randvoll mit Wasser waren.
Er ging ins Wohnzimmer hinüber, nahm ein Glas aus dem Schrank und die Whiskyflasche von der Bar und schenkte sich einen doppelten Chevas ein. Trank ihn in einem Zug. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, für einen Moment breitete sich eine Hitze in seinem Magen aus, die er als angenehm empfand. Er schenkte sich noch einmal ein. Für gewöhnlich löste er seine Probleme nicht mit Alkohol, aber im Augenblick hatte er das Gefühl, etwas zu brauchen, um nicht völlig durchzudrehen.
Das Glas in der Hand, streifte er durch das Haus. Es war alles wie immer, nirgendwo der kleinste Hinweis, was mit Virginia passiert sein konnte. Im Schlafzimmer waren die Betten gemacht. Er öffnete den Kleiderschrank, aber er hatte zu wenig Überblick über die Sachen seiner Frau, als dass er hätte sagen können, ob etwas fehlte und was es war. Ihm fiel nur auf, dass der kleine rote Reisekoffer, der immer zwischen Schrank und Wand stand, verschwunden war. Sie hatte gepackt. Sie hatte mit einem Koffer dieses Haus verlassen.
Nach einigem Zögern betrat er auch das Gästezimmer. Hier musste Nathan Moor gewohnt haben.
Aber auch das Zimmer gab keinen Aufschluss. Das Bett war gemacht, der Schrank leer. Es gab nichts, was auf Moors Anwesenheit hinwies.
Und selbst wenn ich eine alte Socke von ihm gefunden hätte, dachte Frederic müde, hätte mich das auch um keinen Schritt weitergebracht.
Er verließ das Zimmer wieder, ging ins Schlafzimmer hinüber, zog sich mit langsamen Bewegungen aus. In der Spiegeltür des Schranks sah er einen müden Mann, der grau und ausgebrannt wirkte. In seinen Augen standen Furcht und Verwirrung. Es war ein Gesichtsausdruck, den er von sich nicht kannte. Weder furchtsam noch verwirrt zeigte er sich jemals, auch waren dies keine Gefühle, die für gewöhnlich sein Innenleben beherrschten. Aber in eine derartige Situation war er auch noch nie geraten. Noch nie hatte ihm etwas derart die Kehle zugeschnürt wie Virginias Verschwinden. Noch nie hatte ihn etwas derart aus der Ruhe gebracht.
Er schlüpfte in seinen dunkelblauen Bademantel. Unmöglich, sich ins Bett zu legen und zu schlafen, er würde kein Auge zutun. So früh wie möglich wollte er Livia Moor aufsuchen. Zuvor musste er seine Sekretärin in London anrufen; es waren für den Vormittag etliche Termine abzusagen, einige würden auch von seinen Mitarbeitern wahrgenommen werden können. Was aus dem wichtigen Abendessen werden sollte, das womöglich der Ausgangspunkt für die beunruhigenden Ereignisse gewesen war, wusste er nicht. Ihm bliebe natürlich die Zeit, am Nachmittag nach London zu fahren und an der Einladung teilzunehmen, Virginia mit irgendeiner Ausrede zu entschuldigen. Aber würde ihm das möglich sein, wenn er bis dahin noch immer nichts über ihren Verbleib wusste? Er konnte es sich nicht vorstellen.
Ruhelos wanderte er wieder ins Wohnzimmer hinunter, schaltete die kleinen Lampen am Fenster ein. Auf dem Sofa lagen ein paar Zeitungen der letzten Tage. Ganz oben die von gestern. Er griff danach. Die Morde an den zwei kleinen Mädchen beherrschten die Schlagzeilen auf der ersten Seiten. Was gedenkt die
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