Das Echo der Schuld
lebten von seiner Pension. Nathan schrieb, ich kümmerte mich um Haus und Garten.«
Frederic nickte grimmig. »Der Bestsellerautor! Ich hatte sofort ein dummes Gefühl. Ich wusste, dass mit diesem Mann etwas nicht in Ordnung ist.«
»Mein Vater starb im letzten Jahr. Ich erbte sein Haus, das allerdings noch mit einer hohen Hypothek belastet war. Zudem war es alt und verwohnt. Der Verkauf brachte nicht allzu viel Geld, aber es hätte gereicht, Nathan und mich für eine Weile über Wasser zu halten. Ich hatte gehofft, dass Nathan in dieser Zeit versuchen würde, eine Arbeit zu finden. Dass er endlich aufhören würde zu glauben, zum großen Schriftsteller berufen zu sein.«
»Aber so kam es nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. Die Erinnerung an die trostlose Kälte jener Zeit breitete sich wieder in ihr aus. Ihr Flehen und Bitten. Ihre Versuche, eine Arbeit zu finden. Gleichzeitig die stetig wachsende Erkenntnis, dass er weg wollte. Dass er sich gar nicht bemühen würde, Livia und sich ein Heim, eine sichere Existenz zu schaffen.
»Nathan hat nie einen richtigen Beruf ausgeübt. Er hat Verschiedenes studiert: Anglistik, Germanistik, Geschichte … Was soll man damit anfangen? Aber er versuchte es auch gar nicht. Stattdessen kam er wieder auf die Weltumsegelung zu sprechen. Damit hatte er mir schon seit Jahren in den Ohren gelegen, aber es war immer klar gewesen, dass ich meinen Vater nicht allein lasse. Doch nun …«
»Und da setzte er Ihr ererbtes Geld in ein Schiff um?«
Sie nickte. »Was bedeutete, dass alles weg war. Wir hatten fast nichts mehr. Seine Idee war, dass wir uns in den Häfen mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Er wollte an seinem Buch arbeiten. Er sagte, das würde sein Durchbruch werden. Er müsse nur endlich weg aus der Enge. Das Haus, die Kleinstadt, mein Vater … all das habe ihn gelähmt.«
»Wie bequem«, sagte Frederic zynisch. »Es geht nichts über die Möglichkeit, andere für das eigene Scheitern verantwortlich zu machen.«
Sie wusste, dass er Recht hatte – und dass es doch komplizierter war. Sie dachte an das alte, düstere Haus mit den knarrenden Treppenstufen, dem muffigen Geruch zwischen den Wänden, der einfach nicht verschwinden wollte, den zugigen Fenstern, der mitten im eiskalten Winter immer wieder streikenden Heizung. An ihren halsstarrigen Vater, der so geizig geworden war, dass er sich weigerte, dringend notwendige Erneuerungen vornehmen zu lassen. Der es nicht einmal gestattete, die Wände zu streichen, um einen frischen Geruch und hellere Farben in die Räume zu bringen. Mit ihrem Vater zu leben war in den letzten Jahren eine Strafe gewesen. Die kleine Stadt, in der jeder jeden kannte, in der Tratsch und Klatsch blühten, in der jeder Schritt, jedes Wort der Mitmenschen beäugt und beurteilt wurde, musste jemanden, der das nicht gewöhnt war, in die Schwermut treiben. Sie hatte damit umgehen können. Sie war dort aufgewachsen, war beheimatet gewesen in dieser Enge. Was Nathan mit tödlich und lähmend bezeichnet hatte, war für sie doch zumindest vertraut gewesen. Und so sehr sie gelitten hatte damals nach dem Tod ihres Vaters, so sehr hatte sie auch verstanden, dass Nathan ganze Ozeane zwischen sich und den Ort hatte legen wollen, der zwölf Jahre lang sein Zuhause gewesen war.
Sie seufzte, verzweifelt, müde und ratlos. »Wir haben nichts mehr. Absolut nichts. Sie sagen, die deutsche Botschaft würde uns helfen, zurückzukehren. Aber wohin? Wir haben kein Haus, kein Geld, keine Arbeit. Nichts, nichts, nichts! Ich kann nur vermuten, dass Nathan sich deshalb so sehr an Sie und Ihre Familie klammert. Um ein Dach über dem Kopf zu haben. Weil er buchstäblich nicht weiß, wohin er sonst gehen soll.«
Frederic richtete sich auf, strich sich langsam die Haare zurück. »Mist«, sagte er, und zweifellos meinte er damit den Umstand, dass es ausgerechnet Virginia hatte sein müssen, die zum Opfer eines auf ganzer Linie gescheiterten Traumtänzers geworden war, »verdammter Mist. Ich möchte nur wissen, was Ihr Mann sich vorstellt. Dass er sich auf ewig hier hätte einnisten können? Oder hatte er irgendwelche Pläne, wie er seine missliche Situation in den Griff bekommen wollte?«
»Er meinte, dass es einen Schadensersatzanspruch …«
Frederic lachte. »So dumm kann er nicht sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Sie überhaupt nie herausfinden, wer Sie da eigentlich in jener Nacht gerammt hat. Und sollte es Ihnen doch gelingen, können sich entsprechende
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