Das Echo der Schuld
Mannes im Krankenhaus nach. Das war vorgestern. Das Schlimme ist, dass es mir so schlecht ging. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt alles wahrgenommen habe, was er sagte. Ich erinnere mich, dass er zum Schluss versprach, am nächsten Tag wiederzukommen. Aber das tat er nicht.«
»Fällt Ihnen sonst noch irgendetwas ein?«, fragte Frederic. Sie konnte spüren, dass er sie am liebsten geschüttelt hätte, um den Fluss ihrer Erinnerungen anzukurbeln, dass er sich nur mühsam beherrschte.
Er hat Angst, dachte sie, er hat richtig Angst um Virginia.
»Er … er sagte, dass ich am Freitag entlassen würde, und ich fragte, wohin wir dann gehen sollten. Er meinte, wir könnten für eine Weile hier wohnen … bei Ihnen.« Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Es war demütigend. So schwerfällig sich ihr Gehirn bewegte, hatte sie doch längst begriffen, dass Frederic Quentin vom Aufkreuzen der Moors in King's Lynn alles andere als begeistert gewesen war, von der Einquartierung Nathan Moors in seinem Haus noch viel weniger. Dass er die Moors am liebsten schon oben auf Skye losgeworden wäre. Dass er die Gutmütigkeit seiner Frau gegenüber den schiffbrüchigen Habenichtsen verfluchte.
»Er hatte sich das Auto Ihrer Frau geliehen«, fuhr sie fort, »ja, das erwähnte er noch.«
»Er hat sich hier richtig heimisch gefühlt«, sagte Frederic zynisch, »wie schön!«
Sie legte das Brot auf den Teller zurück. Ausgeschlossen, dass sie noch einen Bissen herunterbekam. »Es … tut mir leid«, flüsterte sie.
Frederics Stimme nahm einen versöhnlicheren Klang an. »Sie können für das alles überhaupt nichts, Livia«, sagte er, »entschuldigen Sie, wenn mein Ton grob war. Es ist nur … ich mache mir größte Sorgen. Es passt nicht zu Virginia, einfach unterzutauchen und sich nicht mehr zu melden. Nicht einmal bei den Walkers hat sie angerufen, um sich nach Kim zu erkundigen oder ihr gute Nacht zu sagen. Das ist so absolut ungewöhnlich, dass ich …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Er stellte seine Tasse ab, trat auf den Tisch zu, stützte beide Arme auf und sah Livia eindringlich an.
»Ich muss wissen, was mit Ihrem Mann los ist, Livia«, sagte er, »und ich bitte Sie, ganz offen zu sein. Etwas stimmt doch hier nicht. Ihr Mann ist angeblich ein bekannter Schriftsteller. Trotzdem besitzt er keinen Penny. Sie beide sind deutsche Staatsbürger. Ihre Botschaft hier in England würde sofort für Sie sorgen, in erster Linie für Ihre Heimreise. Trotzdem kommt Ihr Mann nicht auf die Idee, sich dorthin zu wenden. Stattdessen klebt er wie eine Klette an meiner Familie. Meine Frau packt ihren Koffer für eine Reise zu mir nach London, kauft das Bahnticket und ist nun spurlos verschwunden. Mit ihr Ihr Mann Nathan Moor und das Auto. Livia, was, zum Teufel, geht hier vor?«
Er war sehr laut geworden am Ende. Livia zuckte zusammen.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. Ihre Stimme schwankte. Sie musste aufpassen, dass sie nicht in Tränen ausbrach. »Ich weiß nicht, was hier vorgeht. Ich weiß nicht, wo mein Mann ist.«
»Sie sind seine Frau. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen etwas über sein Leben wissen. Sie können nicht so ahnungslos sein, wie Sie jetzt tun!«
Sie zog die Schultern hoch, hätte sich am liebsten in sich selbst verkrochen. »Ich weiß nichts«, flüsterte sie.
Seine Lippen waren schmal und weiß vor Wut. »Das nehme ich Ihnen nicht ab, Livia. Sie wissen nicht, wo er jetzt gerade ist, das glaube ich Ihnen. Aber Sie können mir Informationen über ihn geben. Und zwar solche, die mir vielleicht dabei helfen, etwas über den Verbleib meiner Frau herauszufinden. Verdammt noch mal, Sie werden mir alles sagen, was Sie wissen. Das sind Sie Virginia schuldig nach allem, was sie für Sie getan hat!«
Sie begann zu zittern. »Er … er ist kein schlechter Mensch. Er würde … er würde Virginia nichts antun …«
Frederic lehnte sich noch weiter vor. »Aber?«
Ihre Stimme war nun kaum noch hörbar. »Aber es stimmt manches nicht, was er …«
»Was stimmt nicht?«
Sie fing an zu weinen. Das alles war ein Albtraum. Und er hatte nicht erst mit dem Untergang der Dandelion begonnen.
»Es stimmt nicht, dass er Schriftsteller ist. Das heißt, er schreibt schon, aber … aber es ist noch nie etwas veröffentlicht worden. Noch … noch nicht eine einzige Zeile.«
»Habe ich es mir doch gedacht. Wovon haben Sie gelebt in all den Jahren?«
»Von … von meinem Vater. Ich habe ihn versorgt. Dafür wohnten wir bei ihm und
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