Das Echo des Bösen: Soul Seeker 2 - Roman (German Edition)
vorzustellen, wer hier eigentlich übernachten wollen könnte. Wer würde freiwillig nach Enchantment kommen und dann auch noch die Nacht hier verbringen ?
»Ja, aber weiß Gott nichts Großartiges.«
Sie zupft an ihrem Haar, wobei mir die blond gebleichten Strähnchen wesentlich goldfarbener vorkommen als das extreme Platinblond, das ich in Erinnerung habe. Und ihr Teint, der normalerweise ebenso blass ist wie meiner, hat eine leichte Bräunung angenommen. Das muss der L.-A.-Effekt sein – die Folge davon, dass sie jetzt dauerhaft in Kalifornien lebt, wo immer die Sonne scheint.
Zumindest denke ich das, bis ich ein paar zarte Fältchen auf ihrer Stirn entdecke und begreife, dass sie kein annähernd so ruhiges Leben führt, wie ich dachte. Auch wenn sie zum ersten Mal seit langer Zeit eine feste Adresse und einen festen Arbeitsplatz hat, war es ein hartes Jahr für sie, mit so vielen Veränderungen, dass man kaum mehr mit Zählen nachkam. Und es waren nicht alles Veränderungen zum Guten.
Manchmal vergesse ich, wie schwer es für Jennika gewesen ist, mir nicht nur beim Umgang mit Dingen zusehen zu müssen, die sie nicht verstehen kann – und eigentlich auch nicht will –, sondern mich auch in der Obhut einer Frau zu lassen, die sie gar nicht so besonders gut kennt.
Sie macht sich Sorgen.
Sie meint es gut.
Und je länger sie bleibt, desto mehr muss ich das berücksichtigen.
»Ich wollte mich dir und Paloma nicht aufdrängen«, fährt sie fort. »Aber jetzt glaube ich fast, ich sollte es tun.«
Toll. Ich starre in meinen Tee, während sie wiederum mich anstarrt. Sie hätte sich mal wieder keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können. Irgendein verrückter mütterlicher Instinkt muss ihr genau den richtigen Moment zum Eingreifen eingeflüstert haben. Anders lässt es sich nicht erklären.
»So, und nachdem ich jetzt deine Frage beantwortet habe, ist es höchste Zeit, dass du meine beantwortest. Was ist mit der Schule ? Warum warst du heute nicht dort, obwohl du abgesehen von deinem unerklärlicherweise nassen Haar einen völlig gesunden Eindruck machst ? Wo wart ihr beiden überhaupt ? Was ist los, Daire ?«
Ich schaue Hilfe suchend zu Paloma, doch sie ist an den Herd zurückgekehrt und dreht uns den Rücken zu, während sie etwas zu essen zubereitet.
Ich beschließe, Jennikas Trommelfeuer von Fragen auf einmal zu beantworten. »Ich brauchte einen Tag für meine seelische Gesundheit, also hat Paloma einen Ausflug mit mir gemacht. Sie meinte, ein paar Stunden an der frischen Luft würden mir guttun.« Die Antwort ist nicht übel und kommt der Wahrheit so nahe, wie ich es mir leisten kann.
»Was meinst du mit einen Tag für deine seelische Gesundheit ? Sind die Visionen zurückgekommen ?« Jennika erbleicht, während sie an die Halluzinationen denkt, die mich hierhergeführt haben. Doch ich winke rasch ab, da ich auf dieses Thema nicht noch einmal eingehen will.
»Nein. Nichts dergleichen. Ich habe nur … Na ja, die Schule ist etwas völlig Neues für mich, wie du weißt, und da muss ich mich erst daran gewöhnen, das ist alles.«
»Geht es um diesen Jungen ?« Sie runzelt die Stirn und verzieht das Gesicht, wobei der Diamantstecker in ihrer Nase immer wieder aufblinkt.
»Mit diesen Jungen meinst du wohl Dace ?« Ich sehe sie mit zusammengekniffenen Augen an, denn ich weiß ganz genau, dass sie sich an seinen Namen erinnert.
»Dace Whitefeather, ja. Also – geht es um ihn ? Ist zwischen euch etwas passiert ?«
Ich lehne mich zurück, da ich die Sache eigentlich nicht diskutieren will, aber ich weiß auch, dass sie nicht so ohne Weiteres lockerlassen wird. Jennika ist wie ein Pitbull. Sie würde mit Freuden den ganzen Abend hier sitzen bleiben und auf die Antwort warten, die sie haben will. Sie kann unglaublich stur sein. Das weiß ich, weil sie diejenige ist, die mich gelehrt hat, ebenfalls unglaublich stur zu sein.
Ich seufze, da mir bereits vor ihrer Reaktion graut. »Wir sind momentan eigentlich gar nicht zusammen. Wir machen eine Pause.«
»Eine Pause ?« Misstrauisch legt sie den Kopf schief.
»Eine kurze Pause.« Ich nicke. Innerlich verdrehe ich die Augen über mich selbst, da ich weiß, dass es das in ihren Ohren weder einen Deut besser noch glaubwürdiger macht.
»Und wessen Entscheidung war das – diese kurze Pause einzulegen ?« Sie faltet die Hände vor sich auf dem Tisch und wartet darauf, dass ich ihr die ganze grässliche Geschichte erzähle.
Ich hole tief Luft und will
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