Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo

Titel: Das Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
Vom Netzwerk:
üppiger«, sagte Deacon, »aber ich habe nichts dagegen, sie an meine Wand zu hängen.«
    »Billy hat sie öfter gemalt als alles andere«, bemerkte Terry unerwartet.
    »Auf der Straße?«
    »Nein, auf die alten Zettel, die wir hinterher verbrannt haben. Am Anfang hat er sie von einer Karte abgemalt, aber mit der Zeit hat er so viel Übung gekriegt, daß er sie aus dem Kopf malen konnte.« Er zeichnete mit dem Finger die klaren Linien des Profils und des Oberkörpers der Frau nach. »Schauen Sie, sie ist ganz einfach zu zeichnen. Stimmt schon, was Billy gesagt hat, in dem Bild gibt’s kein Durcheinander.«
    »Im Gegensatz zu da Vinci?«
    »Genau.«
    Es war wahr, dachte Deacon. Picassos weibliche Figur war herrlich in ihrer Einfachheit - und viel zarter als da Vincis Madonna. »Vielleicht solltest du Maler werden, Terry. Du scheinst einen Blick für gute Malerei zu haben.«
    »Ich war ein- oder zweimal im Green Park und hab’ mir das Zeug an den Gittern angeschaut, aber das ist lauter Mist. Billy hat immer gesagt, er nimmt mich mal mit in ein richtiges Museum, aber er hat’s nie geschafft. Wahrscheinlich hätten sie uns sowieso nicht reingelassen, wo Billy doch die meiste Zeit sternhagelvoll war.« Er blätterte durch die Postermappe. »Wie finden Sie das hier? Glauben Sie, der Maler hat die Hölle genauso gesehen wie die Frau, von der Billy die Briefe gekriegt hat?«
    Er hatte Edvard Munchs Der Schrei herausgesucht, dieses starke, symbolbeladene Bild eines Menschen, von dessen Angstschrei vor den elementaren Kräften der Natur das ganze Bild erzittert. »Du hast wirklich einen Blick«, stellte Deacon mit Bewunderung fest. »Hat Billy das auch gemalt?«
    »Nein, das hätt’ ihm nicht gefallen. Zuviel Rot drin. Rot hat er nicht gemocht. Es hat ihn an Blut erinnert.«
    »Und ich häng’s mir nicht an die Wand, weil ich sonst dauernd an die Hölle erinnert werde.« Und an Blut, dachte er. Er wünschte, er und Billy hätten weniger gemein.
    Sie entschieden sich schließlich für Picasso (wegen seiner Einfachheit), Manets Frühstück im Atelier (wegen seiner harmonischen Symmetrie - »das kommt echt gut«, sagte Terry), Hieronymus’ Der Garten der Lüste (wegen der Farben und des Sujets - »total genial«, sagte Terry) und zum Schluß Turners The Fighting Téméraire (wegen seiner Vollendung in jeder Hinsicht - »Scheiße«, sagte Terry. »Das ist ein Wahnsinnsbild«).
    »Was ist aus Billys Picassokarte geworden?« fragte Deacon, als er bezahlte.
    »Tom hat sie verbrannt.«
    »Warum?«
    »Weil er total abgedreht ist. Er und Billy waren sturzbesoffen, und sie hatten einen Streit wegen Frauen. Tom hat gesagt, Billy wäre viel zu häßlich und hätte bestimmt nie eine gehabt, und Billy hat gesagt, so häßlich wie Toms Alte könnte er gar nicht sein, sonst wär’ Tom ihr nicht abgehauen. Da haben natürlich alle gelacht, und Tom war stinksauer.«
    »Was hat das mit der Karte zu tun?«
    »Nicht viel, außer daß Billy die echt geliebt hat. Manchmal, wenn er blau war, hat er sie sogar geküßt. Tom war so sauer, daß Billy seine Alte beleidigt hat, daß er ihm was ganz Gemeines antun wollte. Hat ja auch prima geklappt. Billy hätte Tom beinahe umgebracht dafür, daß er die Karte verbrannt hat, und dann hat er angefangen zu heulen und gesagt, die Wahrheit wär’ sowieso tot, also würd’s keine Rolle mehr spielen. Und das war’s dann.«
     
    Deacon war vor sechs Jahren zum letztenmal im Red Lion gewesen. Es war seine Stammkneipe gewesen, als er und Julia in Fulham gewohnt hatten, und Hugh hatte sich vielleicht zweimal im Monat auf der Heimfahrt nach Putney dort mit ihm getroffen. Von außen hatte sich in den sechs Jahren kaum etwas verändert, und Deacon erwartete beinahe, den alten Wirt und dieselben Stammgäste vorzufinden, als er die Tür aufstieß. Doch er trat in einen Raum voller Fremder. Das einzige bekannte Gesicht war das Hughs. Er saß an einem Tisch in der Ecke und hob, etwas zaghaft, grüßend die Hand, als er Deacon sah.
    »Hallo, Michael«, sagte er und stand auf, als Deacon und Terry näher kamen. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.«
    »Das würde ich mir doch nie im Leben entgehen lassen. Es ist vielleicht die einzige Chance, die ich je bekomme, dich flachzulegen.« Er winkte Terry näher heran. »Das ist Terry Dalton. Er wohnt über Weihnachten bei mir. - Terry, das ist Hugh Tremayne, mein Schwager.«
    Terry sah Hugh mit seinem entwaffnenden Lächeln an und bot ihm die Hand. »Hallo.

Weitere Kostenlose Bücher