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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Eltern, ich hab eine Bitte an Euch. In einem Paket hab ich einen Mantel und Hosen geschickt, und ich bitt Euch, das und was noch drin ist, für mich aufzubewahren.
    Noch paar Worte über mich. Wie ihr seht, bin ich gesund und munter. Besondre Veränderungen gibt’s keine. Wir sind auf dem Vormarsch und vernichten die deutschen Banditen auf ihrem Territorium, und wir rächen uns an ihnen für Eure Leiden und Tränen. Gruß an Tante Dascha und alle meine Bekannten. Viele Grüße und Küsse
    Euer Sohn Wolodja
    *
    Benito Mussolini 1883–1945
Mailand/Palazzo Monforte
    Interview
    Lassen Sie diese stürmischen Jahre vorbeigehen. Ein Junger wird emporkommen. Ein Unbeirrbarer. Ein Führer, der unausbleiblich die Ideen des Faschismus vertritt. Kollaboration und nicht Klassenkampf; Charta der Arbeit und Sozialismus; das Eigentum heilig, solange es Armut nicht fördert; Fürsorge und Schutz der Arbeiter, vor allem der Alten und Invaliden; Fürsorge und Schutz von Mutter und Kind; brüderlicher Beistand für die Bedürftigen; Moralität auf allen Gebieten. Kampf gegen die Ignoranz und die Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen. Sofern dafür noch Zeit ist, Stärkung der Autarkie, unserer einzigen Hoffnung bis zum utopischen Tag der Aufteilung der Rohstoffe, die Gott der Welt gegeben hat, unter allen Völkern; Verherrlichung des Stolzes, Italiener zu sein; Erziehung in die Tiefe und nicht an der Oberfläche, wie es leider aufgrund der Ereignisse geschehen ist und nicht wegen ideologischer Unzulänglichkeit.
    Ein unbeirrbarer Junger wird kommen, der unser Postulat von 1919 und das Programm von Verona von 1943 vorfindet, frisch, kühn und würdig sie umzusetzen. Dem Volk werden sich dann die Augen geöffnet haben, und es wird selbst diesen Ideen den Triumph bereiten. Zu viele hatten ein Interesse daran, daß diese Ideen nicht verstanden und gewürdigtwürden, und machten glauben, daß sie gegen die moralischen und materiellen Interessen des Volkes verstießen. Wir haben 18 Jahrhunderte der Invasionen und des Elends durchlebt, des Geburtenrückgangs, der Knechtschaft, innerer Kämpfe und Ignoranz. Vor allem aber des Elends und der Unterernährung. Zwanzig Jahre Faschismus und siebzig Jahre Unabhängigkeit haben nicht ausgereicht, um der Seele jedes Italieners jene Kraft zu geben, um die Krise zu überwinden und das Wahre zu begreifen. Die großartigen und zahlreichen Ausnahmen zählen nicht.
    Diese Krise, die 1939 begann, hat das italienische Volk nicht überwunden. Es wird wieder hochkommen, aber die Rekonvaleszenz wird lang und traurig sein, und wehe, wenn es zu Rückfällen kommt. Ich bin wie der große Kliniker, dem es nicht gelungen war, die richtige Therapie zu geben, und der jetzt das Vertrauen der Angehörigen des bedeutenden Patienten verloren hat. Viele Ärzte drängen sich um die Nachfolge. Viele von ihnen sind bereits als Versager bekannt; andere sind nichts weiter als dreist oder gewinnsüchtig. Der neue Arzt muß noch kommen. Und wenn er auftaucht, dann wird er meine Mittel anwenden. Er muß sie nur besser einsetzen können. Ein Ankläger des Admirals Persano antwortete, als er gefragt wurde, welche Schuld der Admiral habe: «Die, verloren zu haben.» So geht es mir.
    *
    Weert Sweers *1917
Kriegsgefangenenlager Cherbourg
    Heute hat unser Führer Geburtstag. Früher war dieser Tag ein großes Fest für die ganze Nation, und nun in Gefangenschaft ist es anders. Es wird furchtbar gehetzt; es sind immer Leute da, die schon vorher alles gewußt haben. Eins steht aber fest, nach dem Stand der heutigen Dinge ist es unverantwortlich, daß der Krieg noch weitergeführt wird. Der Krieg ist verloren, da hilft alles nichts.
    Die Russen und die Amerikaner stehen vor Berlin und sind zur letzten Entscheidung gestartet.
    Das Wetter war noch ganz schön, und ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit Rätselraten und sonstige Abwechslungen. Ich kann nicht den ganzen Tag sitzen und in die Gegend dösen, wie die meisten es tun. Wir müssen eben mit diesem Leben fertig werden.
    Rita Ullrich *1922
Internierungslager St. Sulpice
    Wir haben einen «neuen Mann» hier, der irgendwie eine Ausnahmestellung unter den Inspektoren einnimmt. [...] Er spricht uns niemals an. Heute lief ihm unsre dreijährige, blondlockige Christa über den Weg, der Liebling des ganzen Lagers, einschließlich der Franzosen, süß und drollig und zutraulich, wie sie ist. Ich weiß nicht, wie die Natur es fertigbrachte, ihr die Speckfalten an den kernig-fetten

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