Das echte Log des Phileas Fogg
ließen andere sich ohne große Mühe herauslösen. Dann mußten sie sich plötzlich zurückziehen, weil irgendein Schrei die Wächter in Aufruhr versetzt hatte. Der Zwischenfall veranlaßte Sir Francis und den Parsen, darauf zu drängen, man solle den Befreiungsversuch aufgeben. Wer oder was den Schrei auch verursacht haben mochte, die Bewaffneten würden nun noch wachsamer sein. Und bald mußte die Morgendämmerung anbrechen.
Fogg erwiderte, er wünsche zu bleiben, bis alle Hoffnung zerstört sei. Es könne etwas geschehen, das ihnen zum Nutzen gereiche.
Passepartout, der in den Ästen eines Baumes saß, um die Umgebung zu beobachten, hatte auf einmal, als er das hörte, eine Idee. Ohne den anderen etwas zu sagen, stieg er vom Baum und huschte davon. Reine Menschlichkeit trieb ihn zu seinem Vorgehen. Zu diesem Zeitpunkt wußte er noch nicht, daß die Frau eine Eridanerin war.
Mit Anbruch der Dämmerung führte man Aouda aus der Pagode. Die Versammlung erwachte aus der Betäubung, und der Lärm der Stimmen und der Instrumente erhob sich bald genauso laut wie am Vortage. Aouda wehrte sich, bis man sie Haschisch- und Opiumdämpfe einzuatmen zwang. Sir Francis, zutiefst gerührt von dem traurigen Schauspiel, griff unwillkürlich nach Foggs Hand und schnitt sich an dem Messer, das der andere umklammert hielt. Allerdings stürmte Fogg keineswegs verzweifelt mit seinem Klappmesser zum Scheiterhaufen. Verne sagt, Fogg und die beiden anderen Männer hätten sich daraufhin unter die Menschenmasse gemischt und seien am Schluß des Zuges zum Scheiterhaufen marschiert. Diese Darstellung entspricht offensichtlich nicht den Tatsachen, da sie sofort Aufsehen erregt hätten und gefangengenommen oder niedergemacht worden wären. In Wahrheit verhielt es sich so, daß die Männer einen sicheren Abstand hielten und dem Zug im Schutze von Büschen und Sträuchern folgten.
Verne erwähnt nicht, wie Fogg auf Passepartouts unerlaubtes Verschwinden reagierte. Fogg selber vermerkte, daß er geglaubt hatte, der Franzose befände sich noch im Baum und hielte Ausschau.
Die drei Männer sahen zu, wie man die inzwischen besinnungslose Frau neben dem Leichnam aufbahrte. Sie sahen, wie das ölgetränkte Holz des Scheiterhaufens mit einer Fackel in Brand gesetzt wurde. Anscheinend verlor Fogg in diesem Augenblick ausnahmsweise die Selbstbeherrschung. Er wäre mitten unter die Versammlung gestürzt, hätten Sir Francis und der Parse ihn nicht gepackt und zurückgehalten. Trotz ihrer Anstrengungen riß er sich los und hätte die Wahnsinnstat sicherlich begangen, wäre nicht völlig unerwartet etwas Schauriges geschehen. Die Menge warf sich mit einem einstimmigen Schreckensschrei vornüber aufs Gesicht.
Der tote Radschah hatte sich aufgesetzt, sich auf die Füße erhoben, Aouda in die Arme genommen und schritt nun mit der Frau vom Scheiterhaufen herab. Rauch umwölkte ihn, als sei er ein Teufel, der eine arme verlorene Seele durch die Feuer der Hölle schleppt. Er ging durch die hingestreckte Menge direkt hinüber zu der Verfolgergruppe im Hintergrund, die vor lauter Fassungslosigkeit ihre Deckung verlassen hatte.
Der auferstandene Radschah, wie jedermann weiß, war niemand anderes als Passepartout. Im Schutze der Nacht, während die Menge schlief, hatte er den Leichnam entkleidet, ihn unter dem Brennholz verborgen, die Gewänder selbst angezogen und sich dann an den Platz des Toten gelegt. Der tote Radschah befand sich, während er dort in dessen Haltung ausgestreckt lag, direkt unter ihm.
Einige Augenblicke später lief Kiuni, inzwischen erwacht, nun mit fünf Personen auf dem Rücken, so schnell auf und davon, als verstünde er genau, wie sehr jetzt Eile geraten war. Gebrüll und Schüsse ertönten hinter ihnen, und eine Kugel durchschlug Mr. Foggs Hut. Das Feuer hatte den nackten Leichnam des Radschahs rasch enttarnt. Sofort begriffen die Anbeter der Göttin Kali nicht nur, daß man sie genarrt hatte, sondern auch auf welche Weise. Da ihnen in Reichweite weder Elefanten noch Pferde zur Verfügung standen, blieben sie bald hoffnungslos hinter den Flüchtlingen zurück.
12
Passepartout war über die gelungene Heldentat außer sich vor Freude. Sir Francis drückte ihm gerührt die Hand. Fogg sagte, das habe er gut gemacht, obschon er bestimmt dachte, daß der Diener sich mit ihm besprochen haben sollte, ehe er handelte. Andererseits aber dachte er stets äußerst pragmatisch. Und es gab unter den Eridanern ein stillschweigendes
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