Das egoistische Gen
nächsten Tag zur Folge, und ebensowenig sollten wir davon ausgehen, daß Gene unwiderruflich irgend etwas determinieren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß der Einfluß von Genen nicht leicht von anderen Einflüssen in sein Gegenteil verkehrt werden könnte. Wer eine ausführliche Erörterung des „genetischen Determinismus“ sucht und erfahren möchte, warum Mißverständnisse entstanden sind, lese in Kapitel 2 meines Buches The Extended Phenotype und in meinem Aufsatz Sociobiology: The New Storm in a Teacup nach. Man hat mir sogar vorgeworfen, ich behaupte, die Menschen seien im Grunde alle Chicagoer Gangster! Doch natürlich wollte ich mit diesem Vergleich hauptsächlich auf folgendes hinaus:
Wenn wir wissen, in welcher Art von Welt ein MannErfolg hatte, so sagt uns dies etwas über den Mann.
Das hatte nichts mit den besonderen Eigenschaften von Chicagoer Gangstern zu tun. Ich hätte genausogut dasBeispiel eines Mannes benutzen können, der in dieSpitze der Kirche von England aufgestiegen oder indas Athenaeum gewählt worden ist. In jedem Fall ginges bei meinem Vergleich nicht um Menschen, sondern um Gene.
Ich habe dieses und andere Mißverständnisse, die daraus entstehen, daß man meine Aussagen allzu wörtlich nimmt, in meinem Aufsatz In Defence of Selfish Genes erörtert, aus dem auch das obige Zitat entnommen ist.
Ich muß hinzufügen, daß meine gelegentlichen politischen Nebenbemerkungen in diesem Kapitel die erneute Lektüre im Jahre 1989 für mich reichlich unangenehm machen. „Wie viele Male mag dies [die Notwendigkeit, ihre egoistische Gier zurückzuhalten, um die Zerstörung der gesamten Gruppe zu verhindern] in den letzten Jahren der britischen Arbeiterbevölkerung gesagt worden sein?“ (Seite 34), das klingt, als wäre ich ein Konservativer.
1975, als ich diesen Satz schrieb, kämpfte eine sozialistische Regierung, die zu wählen ich mitgeholfen hatte, verzweifelt gegen eine Inflation von 23 Prozent und machte sich ganz offensichtlich Sorgen wegen der hohen Lohnforderungen der Arbeiterschaft. Meine Bemerkung könnte aus einer Rede jedes beliebigen Labour-Ministers jener Zeit entnommen sein. Heutzutage, da in England eine Regierung der neuen Rechten herrscht, die Bösartigkeit und Egoismus zur Ideologie erhoben hat, rufen meine Worte Assoziationen hervor, die sie gemein scheinen lassen, was ich zutiefst bedauere. Nicht, daß ich zurücknehmen wollte, was ich damals gesagt habe. Egoistische Kurzsichtigkeit hat immer und überall noch die von mir genannten unerwünschten Konsequenzen. Aber wenn man heute nach Beispielen für egoistische Kurzsichtigkeit in England suchen wollte, würde man nicht zuerst auf die Arbeiterklasse schauen. Davon abgesehen ist es wahrscheinlich am ratsamsten, eine wissenschaftliche Arbeit überhaupt nicht mit politischen Bemerkungen zu belasten, ist es doch bemerkenswert, wie schnell diese überholt sind. Die Schriften, die politisch denkende Wissenschaftler – beispielsweise J. B. S. Haidane und Lancelot Hogben – in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts verfaßten, sind heute durch ihre anachronistischen Spitzen entscheidend beeinträchtigt.
3 Ich habe von diesem sonderbaren Zusammenhang bei männlichen Insekten zum ersten Mal während einer Forschungsvorlesung gehört, die ein Kollege über Köcherfliegen hielt. Er versuchte, Köcherfliegen in Gefangenschaft zu züchten, konnte sie aber trotz aller Anstrengungen nicht dazu bewegen, sich zu paaren. Darauf knurrte der Entomologieprofessor aus der vordersten Reihe: „Haben Sie niemals versucht, ihre Köpfe abzuschneiden?“, als habe der Kollege eine ganz und gar offensichtliche Möglichkeit übersehen.
4 Seit der Niederschrift meines Manifests der Genselektion habe ich reiflich darüber nachgedacht, ob es nicht doch auch eine Art Selektion auf höherer Ebene geben kann, die gelegentlich während des langen Weges der Evolution wirksam ist. Ich beeile mich hinzuzufügen, daß ich mit „auf höherer Ebene“ nichts meine, das irgendwie mit „Gruppenselektion“ zu tun hat. Ich spreche von etwas, das sehr viel subtiler und auch sehr viel interessanter ist. Inzwischen glaube ich, daß nicht nur einige Individuen im Überleben besser sind als andere; vielleicht sind auch ganze Klassen von Organismen anderen in der Fähigkeit zur evolutionären Entwicklung überlegen. Natürlich ist dieses Sich-Entwickeln, über das wir hier reden, immer noch die alte Evolution, die über die
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