Das Ei und ich
vorsichtig und diplomatisch genug behandeln konnte.
Vom Herbst bis zum Frühling war in unserer Küche nach guter, alter Hinterwäldlersitte die Wäscheleine aufgespannt, an der die Wäsche nach Tagen, manchmal nach Wochen noch genauso naß baumelte wie im Stadium des Aufhängens. Was sich über Herd befand, klatschte mir beim Kochen feucht ins Gesicht oder in den Nacken, aber es waren benötigte Dinge wie Unterwäsche oder Socken, die auf alle Fälle vor Einbruch der warmen Jahreszeit trocknen mußten. Eierkuchen umdrehen und Tomatensauce rühren, während einem unversehens ein nasses Handtuch gegen die Wange schlug – es war wirklich kein angenehmer Zustand. Ich fror den ganzen Winter und schlotterte in meinen Kleidern, die sich nie meinem Körper anschmiegten. Meine Haut war feucht-kalt, und wäre es jemandem in den Sinn gekommen, mich am Meeresstrand inmitten eines Haufens von Meermuscheln zu deponieren, hätte ich die Gesellschaft wahrscheinlich sehr gemütlich gefunden. Das ewige Frieren brachte es mit sich, daß ich sehr häufig unsere außer Haus gelegene Toilette aufsuchen mußte; jeder Gang machte mich noch mehr frösteln und dementsprechend noch öfter hinausgehen. Frühling und Sommer hatten wir bis über die Ohren in Arbeit gesteckt und fast über unsere Kraft geschuftet. Nachdem ich so viele Bücher über Farmen und Farmerleben verschlungen, hatte sich in mir die Überzeugung gefestigt, der Winter brächte dann eine Ruhepause mit sich, während der man in aller Beschaulichkeit Maschinen reparieren, Teppiche stopfen, Wolldecken ausbessern, das Pferdegeschirr flicken und alle notwendig gewordenen Arbeiten verrichten konnte. Aber meine Überzeugung kam bald kläglich ins Wanken, denn sechzehn Stunden täglich brauchte ich allein, um Herd bei guter Laune, das heißt warm zu halten und drei Mahlzeiten zu kochen. Um vier Uhr morgens sprang ich aus den Federn, goß ein paar Schluck Kaffee hinunter, und schon war’s elf Uhr und Zeit fürs Mittagessen. Nach dem Mittagessen wusch ich das Geschirr ab, zupfte vielleicht noch ein welkes Blatt von meinem Geranienstock, und siehe da – schon war’s fünf und Zeit zum Nachtmahl. Die Leute auf dem Lande pflegten um elf Uhr vormittags eine kräftige Mittagsmahlzeit zu nehmen und gegen fünf Uhr nachmittags ein weniger umfangreiches Abendbrot, aber ein ausgiebiges Nachtmahl bedeutete für mich den letzten Rest ehemals selbstverständlicher Zivilisation, und ich klammerte mich mit der gleichen Hartnäckigkeit an diese Sitte wie ein Mädchen aus dem Süden an seinen Akzent. Obwohl wir bereits um fünf Uhr statt um halb acht aßen und es genauso unzeremoniell zuging wie beim Würstchen-vom-Pappteller-Essen auf dem Fußballplatz und unsere Unterhaltung sich im großen ganzen auf »Gib mir mal die Gürkchen rüber« beschränkte, so war und blieb es doch das »Nachtmahl«.
Eine weitere falsche Auffassung, die ich aus Büchern aufgeschnappt hatte, war, daß die Wintermonate eine Zeit nachbarlicher Geselligkeit seien. Frühling und Sommer waren wir nach vollbrachtem Tagewerk so hundemüde, daß wir am Abend erleichtert ins Bett sanken, aber an den Winterabenden, stellte ich mir vor, würde es dann um so lustiger zugehen bei Zusammenkünften, kleinen Festen, gemeinsamem Kaffeetrinken, Maiskolbenrösten und Schwatzen über Politik und Ernte. Weit gefehlt! Der Winter war die Jahreszeit, in der man endlich die längst fälligen Reparaturen machte, die zehnmal länger brauchten als man gerechnet, weil es kalt, die Finger steif und ringsum alles dunkel war. Den Nachbarn beseelte nur der Gedanke, so schnell wie möglich mit der verflixten Arbeit fertig zu werden, zum warmen Herd zu kriechen und sich nicht von dort hervorlocken zu lassen. Die anderen Farmersfrauen hatten den gleichen Stundenplan wie ich, der sie zwölf bis achtzehn Stunden täglich in Atem hielt und ungefähr so aussah:
Montag – Waschtag! Am Waschtag gehörte es unter den Farmersfrauen im Gebirge zur Tradition, in edlem Streit zu wetteifern, wessen Wäsche zuerst an der Leine hing. Ich huldigte dieser Tradition nicht, sondern schloß still und heimlich mit mir selbst Wetten ab, wie lange ich wohl diese ekelhafte Arbeit hinausschieben konnte. Meinen Berg schmutziger Wäsche in Angriff zu nehmen, kam mir ebenso sinnlos vor, als hätte ich beschlossen, den Ozean mit einem Teelöffel auszuschöpfen. Bob hatte im Weltkrieg Nummer 1 Dienst zur See getan, und anstatt mit getrübtem Erinnerungsvermögen heimzukommen,
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