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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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gänzlich abging. Sicher konnte er die Kühe nur mit Lockungen wie »Kommt ihr Mädchen, ich lade euch in ein Restaurant oben am Berg ein, wo ihr euch dick und rund fressen könnt« an sich fesseln, denn auf seine körperlichen Reize flogen sie kaum. Es war naheliegend, daß er wegen einer Ladung Steinsalz nicht auf seine letzte Chance beim weiblichen Geschlecht verzichten würde. Und meine Skepsis erwies sich als berechtigt. Bob schoß, der Stier blökte dumpf, zog sich zurück, war aber eine Stunde später schon wieder zur Stelle, woraufhin sich Schießen – Weglaufen – Schießen – Weglaufen abwechselten.
    Ende des Frühlings haßte Bob die Kettles aus tiefstem Herzen, und ich konnte ihm keinen Vorwurf aus seiner Abneigung machen, denn sie halsten ihm doppelte Arbeit auf und erschwerten ihm das Vorwärtskommen. Im Verlauf des Winters kühlte sich sein Zorn etwas ab, und zu Beginn des zweiten Jahres hatte er sich an sie gewöhnt wie an ein häßliches Muttermal. Mir machten die Kettles Spaß. Sie reizten mich wohl manchmal, amüsierten mich aber auch und trösteten mich im großen ganzen, weil sie immer erreichbar und nie langweilig waren.
    Wo sie soviel Pech hatten und in ihrem Ungeschick und natürlich auch durch ihre Faulheit nie aus der Misere herauskamen, war ihr familiärer Zusammenhalt erstaunlich. Nie machten sie sich gegenseitig Vorwürfe wegen der unmöglichen Zustände, die auf ihrer Farm herrschten, noch stritten sie untereinander, denn ihrer einstimmigen Meinung nach traf sie keine Schuld an ihrem Elend. Eine Tasse Kaffee nach der anderen hinuntergießend, klärte Mrs. Kettle mich über die wahre Ursache des Verhängnisses auf. »Die Schwindler in Washington«, sagte sie mit empörter Stimme, »die sind schuld. Lassen sich bestechen und kaufen große Wagen für unser Geld.« Für Mrs. Kettle gab es eine einzige Regierung, und die saß in Washington. Von der Existenz einzelner Staats-, Bezirks- oder städtischer Regierungen hatte sie keine Ahnung. »Die ganze verfluchte Bande« saß in Washington, und Washington war in ihren Augen ein Sündenpfuhl, wo jedermann vierundzwanzig Stunden am Tag in Abendtoilette herumlief, Galadiners besuchte, sich mit Spionen, Hochstaplern und leichtfertigen Frauenzimmern an den Tisch setzte, im Alkohol schwamm, Bestechungsgelder annahm und Straußwalzer anhörte. Politik war den Kettles ans Herz gewachsen, sie lieferte ihnen eine Ausrede für alles. Lag der Mist so hoch an den Stallwänden, daß Paw nicht mehr hineinkonnte, um die Kühe zu melken, oder hatte Tits’ Gatte Mervin seiner Frau ein Auge blau geschlagen, oder fand sich kein Hühnerfutter mehr im Vorrat, und es war kein Geld da, um welches zu kaufen, stemmte Maw die Hände in die Hüften und zeterte: »Da sieht man mal wieder, was die Lumpen in Washington angerichtet haben! Da erlassen sie einfach neue Bestimmungen für die Pachtzahlungen, und unsereiner, der sitzt da, und Paw kann sich keine Mistgabel kaufen. Sie geben Mervin sein indianisches Vertragsgeld, und er geht hin und besäuft sich und schlägt Tits grün und blau. Sie zahlen die Farmer, daß sie kein Hühnerfutter anbauen, und der Preis is so hoch, daß ich keins kaufen kann. Und wenn’s auf mich ankäm«, pflegte sie zu sagen, nachdem sie sich mit einem kräftigen Schluck ihres tintenschwarzen Kaffees gestärkt hatte, »da sollen die Kerle, die Politiker in Washington, ihre Gaunergesetze und ihre Gaunerbestechungen nehmen und sich’s Maul damit vollstopfen, bis sie dran ersticken.« Ein triumphierender Blick traf Paw, Elwin, Tits und mich zur Schlußbekräftigung, und die einzelnen Familienmitglieder nickten bedächtig zu dieser Weisheit. Damit war die Schuld eindeutig den wirklichen Übeltätern in die Schuhe geschoben, und keiner der Kettles brauchte mit schlechtem Gewissen herumzugehen.
    Die Hicks, unsere anderen Nachbarn, lebten fünf Meilen von uns entfernt in entgegengesetzter Richtung wie die Kettles. Sie hatten ein ordentliches, weiß gestrichenes Haus, eine ordentliche, weiß gestrichene Scheune, ordentliche, weiß gestrichene Ställe, einen Schweinekoben und ein Bruthaus, alles von einem ordentlichen, weißgestrichenen Zaun umgeben. Seitlich vom Haus befand sich der Obstgarten, in dem alle Bäume weiß gestrichene Stämme hatten, und außer den solcherart markierten weißen Bäumen gab es keine Eindringlinge, die die eiserne Disziplin der Hicksschen Farm durchbrochen hätten. Mich beschlich immer das unbehagliche Gefühl, daß eine

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