Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
abstatten?«
Rafik sah schockiert aus. »Da haben wir jetzt schon so lange Zeit zusammengearbeitet, und ihr zwei müßt immer noch anständige Manieren lernen. Ihr Ungläubigen könnt meinetwegen Geschäfte elektronisch abschließen, wenn ihr wollt, aber Kinder der Drei Propheten treffen sich von Angesicht zu Angesicht. Das ist die einzig ehrenvolle Art und Weise, ein Abkommen zu treffen. Außerdem«, fügte er prosaischer hinzu, »ist keine Funkverbindung so eng gebündelt, als daß man sie nicht abhören könnte.«
Er war früher zurück, als sie erwartet hatten, mit verkniffenem Gesicht und schwer beladen mit einer Menge in undurchsichtige Schrumpffolie verpackter, zerbeulter Pakete.
»Du siehst nicht allzu glücklich aus. Was ist los, verlangt Onkel Hafiz einen erpresserisch hohen Anteil von den Aktien?« fragte Calum.
»Und wie kommt es, daß du deinen Ausflug unterbrochen hast, um einkaufen zu gehen?« ergänzte Gill.
»Onkel Hafiz«, antwortete Rafik, immer noch mit verkniffenem Gesichtsausdruck, »ist traditioneller gesinnt als ich. Er wünscht auch die anderen Geschäftsparteien von Angesicht zu Angesicht zu sehen, bevor wir in ernsthafte Verhandlungen eintreten.«
»Nicht Acorna!«
»Die Hafenbehörden haben vier Besatzungsmitglieder gemeldet. Er will alle vier sehen. Das geht schon in Ordnung«, beschwichtigte Rafik Gill, »er wird Acorna nicht tatsächlich sehen. Ich habe mir einen Weg ausgedacht, darum herumzukommen. Es ist zudem eine gute Idee; eine, die wir von nun an möglicherweise grundsätzlich verwenden könnten.«
»Und es hat mit Meter um Meter weißer Polyseide zu tun«, stellte Calum fest, als er den Inhalt eines der Pakete untersuchte. »Hmm, Rafik, nimm es mir nicht übel, aber ich habe schon früher Erfahrungen mit einigen deiner ›guten Ideen‹ machen dürfen. Wenn das hier so wird wie damals, als wir uns in den Kezdet-Raumsektor einzuschleichen versuchten, um uns dieses Titan zu holen, das dort angeblich einfach rumlag und nur darum bettelte, abgebaut und aufbereitet zu werden…«
»Das war doch auch eine gute Idee!« begehrte Rafik entrüstet auf. »Woher sollte ich denn wissen, daß die Kezdeter Hüter des Friedens gerade einen neuen Mann angeheuert hatten, der unsere Funkkennung aus seinen alten Tagen bei MME
wiedererkennen würde?«
»Das einzige, was ich mich frage«, murmelte Calum, »ist, von welchem entscheidenden Faktor du diesmal nichts weißt?«
»Dieses Mal ist es ganz anders«, versprach Rafik. »Nur ein belangloser Kostümwechsel. Seht mal, wir wollen doch nicht, daß irgendwer auf Acorna aufmerksam wird, richtig? Also werden wir noch traditionsbewußter sein als selbst Onkel Hafiz. Ich habe ihm erzählt, daß ich die Drei Bücher studiert hätte – das hat ihn glücklich gemacht. Dann habe ich ihm erklärt, daß ich vom Ersten Buch angeregt worden wäre, meine Studien zu vertiefen, und daß ich von den Neo-Hadithianern aufgenommen worden wäre.«
»Und das Ganze bedeutet präzise was?« fragte Gill.
»Die theologischen Feinheiten gehen wahrscheinlich über deinen Verstand«, gab Rafik zur Antwort. »Der wichtige Punkt ist aber, daß meine Frauen den Hijab tragen, der die perfekte Verkleidung für Acorna sein wird.« Er nahm Calum eines der Teile aus weißer Polyseide ab und hielt es mit beiden Händen hoch, so daß sie die Form des Kleidungsstückes erkennen konnten: eine viellagige Kapuze an der Spitze eines wallenden Gewandes aus noch mehr Stoffschichten, jede individuelle Lage leicht und scheinbar transparent, aber in der Gesamtheit eine Wolke aus irisierend reflektierendem Weiß. »Als ein aufgeklärtes Kind der Drei Propheten bin ich natürlich nicht so dumm, den uralten Aberglauben über das Verschleiern von Frauen zu teilen. Es gibt in Wahrheit keine Silbe im Ersten Buch – das ihr Ungläubigen den Koran nennt –, die verlangt, daß Frauen Schleier tragen und von der Außenwelt abgeschieden leben müßten. Und der Zweite Prophet hat diese und andere barbarische Praktiken, wie beispielsweise das Genußverbot von gegorenen Getränken, ein für allemal verworfen. Aber die Neo-Hadithianer behaupten, daß der Hadith, die überlieferten Erzählungen aus dem Leben des Ersten Propheten, genauso heilig wäre wie die Worte der Bücher. Sie wollen die schlimmsten Übel der schlechten alten Wege Wiederaufleben lassen. Einschließlich ; des Schleiers.
Onkel Hafiz mißfällt meine neue Anschauung zwar über alle Maßen. Aber er sagt, daß er meine religiösen
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