Das Einhornmädchen Vom Anderen Stern
wenn es sie ruhigstellen würde.
»Ich werde dir ein Honigbonbon geben, wenn sie wieder fort sind«, flüsterte Jana, obwohl sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wo sie eines herbekommen könnte. »Bleib jetzt einfach still, Chiura, Schätzchen, du willst doch nicht, daß sie dich bemerken.« Sie ließ sich genau vor Chiura nieder, schirmte sie mit ihrem Körper ab.
Da war ein rasselndes Geräusch – das mußte Siri Teku sein, der die Tür aufschloß. Dann flutete Licht herein. Es war hellichter Tag. Jana spürte, wie sie am ganzen Leib in kalten Angstschweiß ausbrach. Sie wollte nicht an Khetis Panik glauben, aber Siri Teku mußte irgendeinen guten Grund haben, diese ganze Arbeitszeit zu vergeuden. Zeit war Credits, sagte er immer, und hier hatte er eine Menge Zeit verloren, indem er sie in der Baracke behielt – wieviel, hatte sie gar nicht bemerkt, bis die Tür sich öffnete und sie das viele Licht sah.
Das goldene Rechteck des offenen Eingangs tat ihren Augen weh; sie hatte schon so lange in der Tagesschicht gearbeitet, daß sie sich nicht mehr erinnern konnte, wann sie zuletzt so viel Sonnenlicht gesehen hatte. Es mußte sich um etwas Bedeutendes handeln, wenn es einen Verlust all dieser Arbeitsstunden rechtfertigte. Für einen Augenblick glaubte sie alle von Khetis Horrorgeschichten über Didi Badini, und noch schlimmere auch.
Der Mann und die Frau, die Siri Teku in die Baracke folgten, sahen indes nicht böse aus. Der Mann war ein kleiner grauer Kerl mit verkniffenem Gesicht, keine Reißzähne oder sonstwas, also konnte er, schätzte Jana, nicht der Rattenfänger sein. Zudem hatte sie nicht mehr viel Beachtung für ihn übrig, nachdem sie erst mal die Frau erblickt hatte. Sie war das Wunderschönste, das Jana jemals gesehen hatte, seit sie als Kind in die Schuldknechtschaft nach Anyag gebracht worden war. Es fing damit an, daß sie blitzsauber war, kein Staubkörnchen trübte den Schimmer ihrer glatten braunen Haut. Und statt mager und knochig zu sein, war sie drall und kräftig. Und erst ihre Kleider! Das Kameez war ganz in Rosa und Gold gehalten, und es bestand aus etwas so Leichtem und Luftigem, daß es über ihrem Leib zu schweben und ihre vollen Rundungen wie eine Wolke Schmetterlinge zu umschmeicheln schien; unter den goldeingefaßten Säumen des Kameez konnte Jana die Aufschläge von tiefrosafarbenen Shalwar erkennen, halb unter goldenen Gelenkreifen verborgen. Ohne es zu wollen, entfuhr Jana ein leiser Laut der Sehnsucht, und sie streckte die Hand aus, riß sie aber sogleich wieder zurück. Sie wollte zwar den feinen Stoff des Kameez fühlen, aber sie würde ihn doch nur dreckig machen. Schließlich war sie nur ein schmutziges kleines Mädchen aus den Minen, und Siri Teku würde sie prügeln, wenn sie diese feine Dame beschmierte. Vielleicht wird sie mich nehmen, dachte Jana, und auch ich werde seidene Shalwar unter meinem Kameez tragen und jeden Tag essen und…
Didi Badinis Blick begegnete einen Moment lang dem von Jana. Die Augen waren nicht wunderschön wie der Rest von ihr; sie waren vielmehr kalt und finster und hart, als ob der Grubenschrat sich Übertage geschlichen hätte, um durch die Augen der wunderschönen Dame zu schauen. Und als sie diese Augen erblickte, erinnerte sich Jana daran, daß sie Didi Badini schon einmal gesehen hatte. Nur hatte sie gedacht, es sei ein Traum gewesen. Sie war das letzte Mal nachts gekommen, hatte die Kinder bei Lampenlicht inspiziert. Jana hatte sich damals umgedreht und den Kopf in ihrem Strohlager vergraben, zu müde, um sich für die Traumleute zu interessieren, die redeten und die Taschenleuchte umherschwenkten; am Morgen danach war Surya verschwunden gewesen.
»Zu mager, zu häßlich«, sagte Didi Badini gerade zu Siri Teku. »Wenn das das Beste ist, was Sie haben, vergeuden Sie meine Zeit.«
»Ich habe ein älteres Mädchen hier, das zu groß wird, um in den Stollen zu schleppen. Wo ist Khetala?« wollte Siri Teku von den Kindern wissen.
Jana hatte nicht gesehen, wohin Khetala gegangen war, sie war zu sehr mit Chiura beschäftigt gewesen. Aber Isrars Augen zuckten zu der am weitesten von der Tür entfernten Ecke, wo mehrere Lumpenballen übereinander gestapelt worden zu sein schienen, und die einfältige Lata sagte: »Sie spielt Verstecken, aber ich habe sie gesehen.«
Siri Teku versetzte den Ballen mit all seiner Kraft einen Fußtritt. Etwas rang nach Luft. Er griff in den Lumpenhaufen, tastete einen Augenblick lang darin herum und zog dann
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