Das Ende Der Ausreden
ungestillt.
Künstler lassen sich von ihrer Empfindlichkeit dominieren; ihre Tendenz, die Dinge zu persönlich zu nehmen, dient zugleich als Schutzschild gegenüber den Erwartungen anderer. Anstatt den durchaus freundlich gemeinten Kern eines Feedbacks oder einer Empfehlung zu würdigen, ziehen sie sich gekränkt zurück. Sie fordern die Welt auf, sie mit Glacéhandschuhen anzufassen, und bleiben genau dadurch im Muster gefangen. Damit ich die Diva geben darf, muss ich eine sein . Sonst verzeiht man es mir nicht. Also kann ich nie erfahren, ob man mich lieben würde, wenn ich eine ganz normale Person wäre.
Wie alle anderen wehren sich Künstler genau gegen das, was ihnen Halt geben und eine neue Entwicklung einläuten könnte. In ihrem Fall ist das die Einladung, das Mögliche dem Unmöglichen vorziehen zu dürfen, sich der Welt da draußen zuzuwenden und ein paar ihrer Spielregeln zu akzeptieren.
Typ 5 Die Beobachter
Hier begegnen wir Menschen, die lieber denken als handeln. Sie sammeln immer noch mehr Informationen, als sie eigentlich bräuchten. Und oft so lange, bis die Gelegenheit vorüber ist. Wie ein Vertreter dieses Musters einmal zusammengefasst hat: »Wir tun nicht, was wir wissen.« Während sie über die anderen denken, dass die nicht wissen, was sie tun.
Sie beobachten genau und geben möglichst wenig von sich selbst preis. Obwohl stolz auf ihre Bescheidenheit, sind Beobachter nicht per se geizig. Sie sind es aber auf jeden Fall mit sich selbst, mit ihren Gefühlen, ihrer Spontaneität, vor allem ihrer Nähe. Sie haben Genügsamkeit lernen müssen, sind groß geworden mit dem Gefühl, dass etwas oder ein anderer wichtiger ist als sie selbst. Meine älteste Freundin ist geboren worden und hätte ein Junge sein sollen. Was man nicht versäumte, ihr oft zu sagen. Und dann kam er, der ersehnte Stammhalter. Sie hatte gleich zweimal Anlass, sich in die innere Welt zurückzuziehen.
Für diese Kinder hatte man oft wenig Zeit, und ihre Eltern hatten selbst wenig Zugang zu ihren eigenen Empfindungen; körperliche gezeigte Zuneigung, Wärme, freier Ausdruck von Gefühlen waren teure Mangelware. Die Welt der Bücher wird oft ihr eigentliches Zuhause. Später fürchten Beobachter dann ein Zuviel an Nähe, an Kontakt. Sie fühlen sich davon schnell überfordert. Eine Party mit mehr als sechs Gästen hat schnell die Qualität von Reizüberflutung, von der man sich zurückziehen und erholen muss. So sind Beobachter oft überdurchschnittlich belesen und trotzdem nur schwer zu den Früchten der Herzensbildung fähig. Und wie sehr ihre eigenen Kinder das dann wieder vermissen müssen …
Die Unfähigkeit, in der Situation selbst spontan zu reagieren, verstört und verletzt andere oft und lässt sie dieses Verhalten als Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit deuten. Dabei sind Beobachter schlicht von den Informationen, die ihnen Intuition und Herz geben könnten, wie abgeschnitten. Sie fühlen sich unbeholfen, unsicher, sobald sie instinktiv oder herzlich reagieren sollen.
Der Chef einer erfolgreichen Niederlassung begegnete im Flur einer Mitarbeiterin, die morgens beim Joggen im Wald über eine Wurzel gestürzt war. Ihre eine Gesichtshälfte war zerkratzt und blutunterlaufen. Sie stehen sich gegenüber. Und er sagt – nichts. Weil er verzweifelt überlegt, was jetzt eine angemessene Reaktion wäre. Sie steht da, wartet darauf, dass er sie fragt, was ihr denn passiert ist. Was aus ihrer Sicht das Normalste von der Welt wäre. Und wartet vergeblich.
Dabei leiden die Beobachter, die oft brillante Denker sind, selbst sehr darunter, sich in Gefühlsfragen nur schwer mitteilen zu können. Während sie in einer emotionalen Situation oft wortlos sind, wie erstarrt, können sie später und mit Abstand wunderbare, gut und lebendig formulierte Briefe schreiben.
Beobachter werden in ihrem Muster am ehesten gestört und dadurch gerettet, wenn sie sich ganz gegen ihre Absicht leidenschaftlich und wehrlos verlieben. Wenn die Vernunft weggespült wird und dann eine andere Logik greifen darf.
In einem Seminar habe ich einmal eine klassische Abschlussübung gemacht. Die Frage lautete, was die Teilnehmer sich als neue Idee und Erlaubnis oder als Motto mitnehmen. Der Beobachter machte, als er an die Reihe kam, zunächst das, was wir von ihm kannten: Er überlegte in aller Ruhe. Und verblüffte uns dann, indem er von einem Traum berichtete, den er vor dreißig Jahren gehabt hatte und der ihm nun wieder in den Sinn gekommen war.
Weitere Kostenlose Bücher