Das Ende der Liebe
Straßenpflaster, und die Allerweltsideen wandelten in ihrem Alltagskostüm [229] darauf umher, ohne zu Rührung, Lachen oder Träumerei anzuregen. Es habe ihn nie verlockt, sagte er, solange er in Rouen wohnte, das Theater zu besuchen, um sich die Schauspieler aus Paris anzusehen. Er konnte weder schwimmen noch fechten, noch mit der Pistole umgehen, und als sie einmal von ihm einen Ausdruck aus der Reitkunst erklärt haben wollte, den sie in einem Roman gefunden hatte, kannte er ihn nicht.
Sollte ein Mann aber nicht alles kennen, sich auf vielen Gebieten auszeichnen, einen mit den Kräften der Leidenschaft, den Genüssen des Lebens, mit allen Mysterien vertraut machen? Aber der da lehrte sie nichts, wusste nichts, wünschte sich nichts.«
Die freien Menschen wollen den Anderen nach ihrem Bilde formen, ja, das auch – doch sie wollen vor allem vom Anderen nach ihrem Bild von sich selbst geformt werden. Sie sehnen sich nach einem Bildhauer, der sie formt, der aus einem Klotz ein Kunstwerk macht. Sie sind Steinblöcke auf der Suche nach einem Bildhauer – Menschen, die sich für formbar halten, auf der Suche nach einem Coach und Therapeuten, Lehrer und Öffner aller Türen. Sie wollen von ihrem Partner unterstützt und unterrichtet, wollen in höhere Sphären und Kreise geleitet werden. Sie wollen, dass der Andere ihnen hilft, alles Niedere abzulegen, Unreife und Ungeschlachtheit, Jargon und Dialekt, das Natürliche oder Künstliche, Bürgerliche oder Unbürgerliche. Er soll sie weiterbringen .
Wenn die Menschen ihrem Partner vorwerfen, dass er sich nicht genug bilde, sich weigere, wie man sagt, seinen Horizont zu erweitern, dass er nicht ausreichend Ehrgeiz habe, nicht genug Disziplin, dass er schlechte Bücher lese, nicht in Therapie gehe, dass er keinen Schritt heraus tue aus seiner Fernsehstagnation, seiner Drogenstagnation, dass er immer [230] wieder die gleichen Bücher lese, immer wieder die gleichen Filme sehe, dass seine Gedanken seit Jahren die gleichen Gedanken, seine Themen seit Jahren die gleichen Themen seien, dass sein Freundeskreis ein Kreis sei, in dem völliger Stillstand herrsche wie in einem moorigen Teich ohne Zu- und Abfluss, dass keiner seiner Freunde eine Herausforderung für ihn sei, alle nur ein Hemmschuh, dass er sich in den vergangenen Jahren in keinster Weise entwickelt habe, sich immer nur ausruhen und entspannen wolle, dass er ständig müde sei, keine Initiative entwickele, dass sein Humor immer noch derselbe sei wie vor Jahrzehnten, sein Jugendhumor , alle seine Leidenschaften seine Jugendleidenschaften – dann geht es nicht in erster Linie darum, dass der Partner die eigene Selbstverbesserung unterlässt, dass er sich treu bleibt, also blockiert ist.
Es geht darum, dass der Partner die Verbesserung der freien Menschen unterlässt. Sie wollen lernen, werden aber von ihrem Partner nicht belehrt, sie wollen geheilt werden, werden aber nicht therapiert. Sie verklagen den Anderen wegen Lehr-Unfähigkeit, wegen unterlassener ärztlicher Hilfe. Der Stein verklagt den Bildhauer wegen Untätigkeit, Unfähigkeit.
Die freien Menschen bekommen von Freunden einen Rat: »Du musst dich trennen. Dein Partner ist für dich keine Herausforderung. Mit ihm kannst du dich nicht entwickeln. Im Gegenteil, du wirst stagnieren. Du wirst dich nicht fort-, sondern zurückentwickeln.
Du wirst stehenbleiben auf dem Niveau seines Humors, seiner Sprache, seiner Intelligenz. Seine Naivität wird die deine sein, seine Infantilität deine Infantilität, seine Trägheit deine Trägheit, seine Verwirrung deine Verwirrung, seine Depression deine Depression.
[231] Dein Partner ist ein Klotz am Bein, eine Erfolgs- und Entwicklungsbremse, eine unüberwindliche Mauer. Du musst dich trennen. Du wirst einen Partner finden, der deinen Möglichkeiten entspricht, der dich fordert und unterstützt, mit dem du dich erweitern und entwickeln kannst.«
Tatsächlich geben die freien Menschen sich selbst diesen Rat. Jeden Tag. Sie sagen zu sich: »Du musst dich trennen. Du wirst einen Partner finden, der deinen Möglichkeiten entspricht. Du wirst einen finden, der dich überragt wie der Pfahl die Rebe, der dich kultiviert, an dem du dich emporwinden kannst.«
Einst verführte der Höhere den Niederen. Don Juan verführte das Mädchen vom Land – und ließ es alsbald wieder fallen. Jetzt geschieht das Gegenteil. Der Niedere benutzt den Höheren.
Der ursprünglich schlechter gestellte Mensch lässt den ursprünglich besser
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