Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Eisenbahnen
und anderen Projekten an. Dazu kam ein Immobilienboom in Österreich und Deutschland, der durch die französischen Reparationszahlungen
nach dem Deutsch-Französischen Krieg angefacht wurde. Mit dem Platzen dieser Blase brachen die Aktienmärkte in Wien, Amsterdam
und Zürich zusammen, und europäische Anleger stießen ihre Investitionen in Übersee ab. Dies belastete die Vereinigten Staaten,
die ihrerseits einen Boom mit Eisenbahnaktien erlebten. Als der legendäre Investmentbanker Jay Cooke keine Anleger für die
Wertpapiere fand, die er zum Bau der Northern Pacific Railroad ausgab, brachen seine Bank und sein Eisenbahnunternehmen zusammen,
was eine gewaltige Panik an der Wall Street auslöste. Diese wiederum schlug nach Europa zurück, und ein großer Teil der Welt
versank in einer heftigen Wirtschaftskrise und Deflationsspirale. In den Vereinigten Staaten verschwand ein Viertel aller
Eisenbahngesellschaften, die Arbeitslosigkeit schoss in die Höhe, und Lohnkürzungen führten zu blutigen Straßenschlachten
und Streiks. Außerhalb Westeuropas und der Vereinigten Staaten, in Ländern wie dem Osmanischen Reich, Griechenland, Tunesien,
Honduras und Paraguay, hatte der Zusammenbruch der Weltwirtschaft besonders fatale Auswirkungen.
Dies ist nur eine kleine Auswahl der Krisen des 19. Jahrhunderts – es gab noch viele, viele mehr: etwa 1819, 1837, 1866 und
1893, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jede davon zeichnete sich durch spezifische Eigenheiten aus, doch bestimmte Merkmale
waren allen gemein. Üblicherweise begannen sie in den westlichen Industrienationen mit dem Ende einer überhitzten Periode
der Verschuldung und Investition und lösten eine Bankenkrise aus. Wenn dann die Weltwirtschaft ins Stocken geriet, wurden
auch Länder an der Peripherie erfasst, die auf Exporte angewiesen waren. Dies bewirkte einen Ausfall von Staatseinnahmen und
hatte zur Folge, dass einige Nationen ihre Inlands- und zum Teil |39| auch ihre Auslandsschulden nicht mehr bedienen konnten. Diese Zahlungsausfälle konnten zu weiteren Zusammenbrüchen im Zentrum
führen, und das geschah dann, wenn die Anleger in den »neuen Märkten« ihr letztes Hemd verloren.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah die Situation kaum besser aus. Der weltweite Zusammenbruch, der als die Krise des Jahres
1907 bekannt wurde, 20 nahm in den Vereinigten Staaten mit dem Platzen einer Aktien- und Immobilienblase seinen Anfang. Sogenannte Trusts – kaum
regulierte Geschäftsbanken, die durch undurchsichtige Besitzverhältnisse untereinander vernetzt waren – erlebten einen Run
auf ihre Reserven. Die Panik erfasste rasch das ganze Land, und der Aktienmarkt brach zusammen. Als die Krise außer Kontrolle
zu geraten drohte, berief J. P. Morgan, der mächtigste Bankier des Landes, eine Reihe von Versammlungen mit den führenden
Bankiers von New York City ein, um dem Run Einhalt zu gebieten. Am ersten Wochenende im November war der Höhepunkt erreicht,
als Morgan in einem berühmten Handstreich die Bankiers in seine private Bibliothek einlud. Als diese nicht bereit waren, einander
zu Hilfe zu kommen, schloss er die Tür ab und steckte den Schlüssel ein. Die Bankiers einigten sich schließlich, und kurz
darauf konnte die Krise beigelegt werden. (Mehr zu J. P. Morgans herausragender Stellung im amerikanischen Finanzwesen lesen
Sie in Kapitel 4.) Morgan wurde als Retter gefeiert, doch die Ereignisse des Jahres 1907 überzeugten viele von der Notwendigkeit
einer Zentralbank, die in künftigen Krisen als letztinstanzlicher Kreditgeber einspringen konnte. So wurde sechs Jahre später
die Federal Reserve, die Notenbank der Vereinigten Staaten, gegründet.
Theoretisch sind Notenbanken ein Schutzwall gegen Finanzkrisen und sollen Banken im Falle eines Runs Kredit bieten. Doch bei
ihrer Feuertaufe versagte die Federal Reserve kläglich: Während des katastrophalen Börsencrashs im Jahr 1929 sah sie tatenlos
zu, wie die Krise außer Kontrolle geriet. Statt eine expansive Geldpolitik einzuleiten, zog sie die Zügel an und trug so dazu
bei, dass |40| sich die ohnehin schon schlechte Situation noch weiter verschlimmerte. Die Folge war eine extreme Geldknappheit in den Jahren
zwischen 1929 und 1933 21 sowie ein Liquiditäts- und Kreditengpass, der den Börsencrash in eine Banken- und schließlich in eine schwere Wirtschaftskrise
verwandelte.
Der Rest der amerikanischen Regierung verhielt sich kaum besser.
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