Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Lohnkosten nicht schneller stiegen als die Produktivität. 29
Einige Beobachter sahen die Ursachen des anhaltenden Wachstums in der Zinspolitik. Notenbankchef Ben Bernanke unterstrich
diesen Zusammenhang in einer Rede im Jahr 2004. Bernanke erklärte, er sehe der Zukunft optimistisch entgegen und könne nur
eine einzige Industrienation ausmachen, auf die die vielgepriesene Kombination aus Finanzstabilität und kurzem geringen Abschwüngen
nicht zutreffe: Japan litt seiner Ansicht nach »unter einer eigenen wirtschaftlichen Problemkonstellation«. 30
Das war eine leichte Untertreibung. Japan war in den achtziger Jahren einem beispiellosen Spekulationswahn auf dem Aktien-
und dem Immobilienmarkt verfallen. 31 Die Spekulationsblase begann mit den üblichen Verdächtigen. Die Bank von Japan stellte billiges Geld zur Verfügung und hob
die Zinsen erst gegen Ende des Booms allmählich an. Neue Finanzprodukte und eine Deregulierung des Geldmarktes erlaubten es
den Banken, aggressiv in das Hypothekengeschäft einzusteigen, mit dem sie bislang keine Erfahrungen gemacht hatten. Dazu kamen
die übliche irrationale |45| Euphorie und der Glaube, dass die Preise nur weiter steigen konnten. Der japanische Aktienindex Nikkei kletterte von 10 000
auf fast 40 000 Punkte, und die Entwicklung der Immobilienpreise nahm einen ähnlichen Verlauf: Ende der achtziger Jahre verdoppelten
sich die Preise für privates Wohneigentum, und die Preise für Geschäftsimmobilien verdreifachten sich sogar. Auf dem Höhepunkt
des Booms wurde das Land rund um den Kaiserlichen Palast in Tokio – bestenfalls einige Hundert Hektar – nach manchen Schätzungen
auf denselben Wert taxiert wie sämtliche Immobilien in ganz Kalifornien.
Das Wachstum flachte Ende 1989 ab, und als die Bank von Japan die Zinsen anhob, um die Spekulation zu beenden, platzte die
Blase. Nach einem Börsencrash fiel die Wirtschaft in Zeitlupe in sich zusammen: Aktien- und Immobilienpreise sanken ganz allmählich
immer weiter. Die neunziger Jahre heißen in Japan
ushinawareta jūnen
, das verlorene Jahrzehnt. Über mehr als zehn Jahre hinweg taumelte die japanische Wirtschaft von einer Rezession in die nächste.
Sie war weit von den halsbrecherischen 4-prozentigen Wachstumsraten der Vorjahre entfernt und erreichte im Durchschnitt 1
Prozent Zuwachs pro Jahr. Zahlreiche Konzerne und Banken waren praktisch bankrott, doch die Aufsichtsbehörden sahen weg, wenn
diese ihre Verluste mit kreativen oder betrügerischen Bilanzierungsmethoden kaschierten. Ohne eine aggressive Umstrukturierung
wurden Zombiebanken und -unternehmen künstlich am Leben erhalten. Ende der neunziger Jahre wurden einige Banken schließlich
geschlossen, und im Zuge einer Konsolidierungswelle auf dem Bankensektor sowie einer Rekapitalisierung der Finanzinstitute
löste man schließlich einige dieser Probleme. Doch die Aktien- und Immobilienpreise erholten sich nicht mehr.
In seiner Rede behauptete Bernanke 2004, Japan sei eine Ausnahme. Aber stimmte das so? Norwegen geriet Ende der achtziger
Jahre in den Sog einer Finanzkrise, die bis Anfang der neunziger Jahre anhielt. 32 Zu diesem Zeitpunkt taumelte das Bankensystem |46| Finnlands und Schwedens, weil die russische Nachfrage nach skandinavischen Gütern nach dem Fall der Berliner Mauer einbrach.
Zur gleichen Zeit erlebten die Sparkassen der Vereinigten Staaten gewaltige Kreditausfälle, weil eine Immobilienblase platzte.
Mehr als 1 600 Banken meldeten am Ende Konkurs an, und auch wenn diese Ereignisse weit von der jüngsten globalen Finanzkrise
entfernt waren, hatten sie doch eine Kreditverknappung und die Rezession der Jahre 1990 und 1991 zur Folge und kosteten den
Staat immerhin etwa 200 Milliarden US-Dollar (umgerechnet auf den Wert des Jahres 2009). 33
Während sich in den Vereinigten Staaten in den neunziger Jahren die Konjunkturschwankungen abschwächten, durchlitten verschiedene
lateinamerikanische und asiatische Staaten eine Reihe verheerender Krisen aufgrund von Spekulationsblasen und der Verschuldung
verschiedener Bereiche der Wirtschaft. 34 Nachdem die Schuldenkrise der achtziger Jahre beigelegt war, kehrten die Anleger wieder nach Lateinamerika zurück, nur um
sich erneut die Finger zu verbrennen. Wieder wurde ausländisches Kapital in die Region gepumpt, doch die Probleme blieben
dieselben. Im Jahr 1994 stand Mexiko aufgrund unhaltbarer Defizite und einer überbewerteten Währung erneut am Rande
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