Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte wie der BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) sowie vieler anderer
Schwellenländer hat die Notwendigkeit einer Reform der globalen Wirtschaftsführung deutlich gemacht. Die ursprünglichen G7-Staaten
– die Vereinigten Staaten, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien – können schwerlich für sich
in Anspruch nehmen, für den Rest der Welt zu sprechen. Um globale Ungleichgewichte ins Lot zu bringen, müssen andere Akteure
mit an den Tisch geholt werden. In gewissem Umfang tun sie das schon: In den letzten Jahren wurden die G7 zunehmend durch
die G20 verdrängt und Staaten wie Brasilien, Indonesien, Südafrika und Saudi-Arabien an den Tisch geholt.
Je mehr, desto besser, doch ob die G20 wirklich wesentliche Veränderungen der Weltwirtschaft und des internationalen Währungssystems
zuwege bringen, ist fraglich. Schon für die G7 war |350| das schwierig genug. Ohne einen formellen Rahmen könnte eine annähernde Verdreifachung der Teilnehmerzahl die Diskussion und
Umsetzung von Maßnahmen gänzlich unmöglich machen. Außerdem hätten die meisten Volkswirtschaften der Welt nach wie vor kein
Mitspracherecht.
Der IWF repräsentiert die Welt womöglich besser, hat aber seine eigenen Probleme. 20 Seine Entscheidungen werden in aller Regel über sein Exekutivdirektorium getroffen, dem 24 Mitglieder angehören, die verschiedene
globale Wählerschaften vertreten. Die europäischen Nationen sind darin leider über- und die Schwellenländer aus Asien und
Afrika unterrepräsentiert. Ein ähnliches Problem kompliziert die Berechnungsmethode der IWF-»Anteile«, also der Stimmen, die
je nach Beitragshöhe auf jedes Land entfallen. Eine neuere Studie stellte fest, dass in den Jahren 2000 und 2001 die kollektive
Stimmgewalt Chinas, Indiens und Brasiliens um 19 Prozent geringer war als die Belgiens, Italiens und der Niederlande – und
das, obwohl die erstgenannte Ländergruppe ein viermal so großes Bruttoinlandsprodukt und 29-mal mehr Einwohner hatte als das
europäische Kontingent.
Bisher schienen die Europäer nicht geneigt zu sein, Macht abzugeben. Das ist unklug. Wenn der IWF in den kommenden Jahren
überhaupt noch glaubwürdig auftreten soll, dann muss die Verteilung der Sitze und Anteile die Anliegen und Beiträge der Schwellenländer
widerspiegeln. Das gilt auch für die Organisations-spitze. Eine ungeschriebene Präzedenzregelung schreibt vor, dass die Weltbank
von einem Amerikaner geführt wird und der IWF von einem Europäer. Forderungen, diese antiquierte Praxis aufzugeben, trafen
bislang auf taube Ohren, was die Legitimation der Organisation zusätzlich infrage stellt.
Aber auch in anderer Hinsicht muss der IWF reformiert werden. Er kann zwar Einfluss auf seine Mitglieder nehmen, allerdings
nur in Krisenzeiten und nur in kleineren Ländern, die Schwierigkeiten haben, ihre Auslandsschulden zurückzuzahlen. Länder
wie China, Japan und Deutschland, die im Rest der Welt als Gläubiger auftreten, |351| können den IWF ignorieren. Das Gleiche gilt für ein Land wie die Vereinigten Staaten, das ein Leistungsbilanzdefizit aufweist,
aber in eigener Währung Geld aufnehmen kann. In Wirklichkeit fehlt dem IWF jede Handhabe, in China, Europa oder den Vereinigten
Staaten eine Verhaltensänderung zu bewirken. Dass er davor zurückschreckt, energisch aufzutreten und die Länder an den Pranger
zu stellen, deren Handlungsweise die Stabilität der Weltwirtschaft gefährdet, kommt erschwerend hinzu.
Das bedeutet aber nicht, dass der IWF abgeschafft werden sollte. Selbst mit seinen begrenzten Ressourcen kann er vor allem
ein Problem in Angriff nehmen: die Leistungsbilanzungleichgewichte. Wie schon angesprochen, haben die Schwellenländer aus
den Krisen der neunziger Jahre zweierlei gelernt: Leistungsbilanzdefizite zu vermeiden und in Erwartung einer internationalen
Liquiditätsklemme die Kriegskasse mit Fremdwährungen zu füllen. Diese Strategien haben sich in der jüngsten Krise ausgezahlt.
Länder in Asien und Lateinamerika, die über üppige Devisenreserven und Überschüsse verfügen, intervenierten aggressiv, um
die eigenen Währungen zu stützen und ausländischen Investoren zu signalisieren, dass sie eine Liquiditätskrise auch ohne den
IWF bewältigen können.
Diese zweifellos löbliche Unabhängigkeit vom IWF hat aber ihren Preis. Abgesehen davon, dass solche Strategien zu einer
Weitere Kostenlose Bücher