Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Gegenteil, die Schuldeninflation, betrachten.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie nehmen als Haushalt oder Unternehmen ein Darlehen über 100 000 US-Dollar mit zehn Jahren
Laufzeit zu einem Zinssatz von 5 Prozent auf. Zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme liegt die bei 3 Prozent. Bleibt die Inflation
in dieser Höhe, zahlen Sie in Wirklichkeit nur 2 Prozent Zinsen pro Jahr – so viel nämlich, wie nach Abzug der Inflation vom
ursprünglichen Nominalzins übrig bleibt. Steigt die Inflation auf 5 Prozent pro Jahr, entspricht das einem zinslosen Kredit.
Die Teuerung zehrt effektiv den gesamten Zins auf. Gerät die Inflation außer Kontrolle und erreicht 10 Prozent, haben Sie
nicht nur einen zinslosen Kredit, sondern müssen überdies weniger tilgen. Dies sind Beispiele für die Berechnung des sogenannten
»Effektivzinses«, der Differenz zwischen dem Nominalzins und der Inflationsrate.
Sie finden das verwirrend? Vielleicht wird es an einem extremeren Beispiel anschaulicher. Stellen Sie sich vor, Sie haben
den erwähnten Kredit über 100 000 US-Dollar aufgenommen, und die Inflation galoppiert ungezügelt davon. Preise, Löhne und
Gehälter schnellen in astronomische Höhen. Für einen Laib Brot, der |193| früher einen Dollar kostete, zahlen Sie jetzt 1 000 Dollar. Der Mindestlohn, der vordem kaum der Rede wert war, beträgt neuerdings
mehrere Millionen Dollar pro Jahr, während eine ordentlich bezahlte Arbeit Hunderte Millionen einbringt. Was passiert jetzt
mit Ihrem 100 000-Dollar-Darlehen? Das lautet nach wie vor auf jene früheren, wertvolleren Dollar. Der Kapitalbetrag ändert
sich durch die Inflation nicht. Trotzdem ist es viel einfacher geworden, den Kredit zu tilgen. Das kostet Sie gerade mal so
viel wie Ihre Lebenshaltungskosten für einen Monat.
Die Erklärung: Sie zahlen Schulden in Dollar zurück, die weniger wert sind als zu der Zeit, als Sie Ihren Kredit aufgenommen
haben. Aus diesem Grund ist die Inflation der Freund des Kreditnehmers. Sie vernichtet effektiv den Wert des ursprünglich
geschuldeten Betrages.
Deflation ist dagegen der Feind des Kreditnehmers. Kommen wir zurück zu unserem Kredit mit zehn Jahren Laufzeit und 5 Prozent
Zinsen. Nehmen wir an, dass die Preise nicht wie erwartet steigen, sondern um 2 Prozent fallen. Das bedeutet, dass Sie in
Wirklichkeit effektiv 7 Prozent Zinsen pro Jahr bezahlen. Erreicht die Deflation 5 Prozent, verdoppeln sich ihre effektiven
Kreditkosten auf 10 Prozent im Jahr. Sie versuchen also, Schulden mit Dollars zurückzuzahlen, die einen höheren Wert haben
als zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme. Obwohl jeder Dollar jetzt mehr wert ist, haben Sie leider weniger zur Verfügung, weil
Ihr Gehalt gesunken ist.
Das Ende vom Lied der Schuldendeflation ist, dass die Kreditkosten der Haushalte, Unternehmen oder Banken weit über die erwartete
Höhe hinausschießen. Wenn nun noch die weiteren typischen Merkmale einer schweren Finanzkrise hinzukommen – wie steigende
Arbeitslosigkeit, wachsende Panik und generell mangelnde Bereitschaft zur Kreditvergabe –, wird es für Kreditnehmer schwer,
ihren Verpflichtungen nachzukommen oder sie alternativ zu besseren Konditionen zu refinanzieren. Investoren meiden sämtliche
riskanten Anlagen und greifen nach liquiden, |194| sicheren Investitionen wie Barguthaben oder Staatsanleihen. Das verschärft die Kreditklemme, da alle auf ihrem Geld sitzen
und niemand Kredite vergeben will. Trocknet der Kreditmarkt aus, werden mehr und mehr Akteure zahlungsunfähig, was dem ursprünglichen
Zyklus von Deflation, Schuldendeflation und weiteren Ausfällen neue Nahrung gibt.
Das Ergebnis ist eine schwere Wirtschaftskrise, in deren Verlauf die Volkswirtschaft eines Landes um 10 Prozent oder mehr
schrumpft. Einen Kollaps wie die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre, die Irving Fisher ebenso traumatisierte wie inspirierte,
hatte es zuvor noch nie gegeben. Von seinem Höchst- bis zum Tiefststand verlor der Aktienmarkt 90 Prozent seines Wertes, die
Wirtschaft schrumpfte um mehr als 30 Prozent, und 40 Prozent aller Banken des Landes brachen zusammen. Die Arbeitslosigkeit
stieg auf fast 25 Prozent an. Und die Deflation? Es kam zu einem Preissturz. Für ein Dutzend Eier, das 1929 noch 53 US-Cent
gekostet hatte, zahlte man 1933 nur noch 29 Cent und damit ganze 45 Prozent weniger. Bei Löhnen oder Gaspreisen waren ähnliche
Rückgänge zu verzeichnen. 9
Kein Wunder also, dass Fishers
Weitere Kostenlose Bücher