Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Die zahlen dieses Geld bei verschiedenen Banken
ein, und diese wiederum verwenden es, um ein Mehrfaches an Krediten zu vergeben. Plötzlich ist wieder mehr und billigeres
Geld verfügbar. Wenn der Wirtschaft Geld zugeführt wird, hat dies den Effekt, dass die Leitzinsen und damit die Zinsen ganz
allgemein sinken.
So weit der Normalfall. An einer Liquiditätsfalle ist jedoch nichts normal. Dazu kommt es, wenn die Notenbank ihre Möglichkeiten
zu Offenmarktgeschäften erschöpft hat. Dieser gefürchtete |197| Moment tritt ein, wenn die Notenbank den Leitzins auf null gedrückt hat. Normalerweise sollte dann jede Menge leicht verfügbares
Geld in die Wirtschaft fließen und das Wachstum ankurbeln. Doch nach einer Finanzkrise reicht es womöglich nicht aus, die
Zinsen einfach auf null zu senken. Die Notenbank tut das, um das Vertrauen wiederherzustellen; sie möchte die Banken dazu
bewegen, sich gegenseitig Geld zu leihen. Stattdessen sind die Banken so um ihren Liquiditätsbedarf besorgt und trauen einander
so wenig, dass sie das Geld lieber horten, als es zu verleihen. Obwohl der Leitzins auf null steht, verleihen die Banken in
einem solchen Klima der Angst ihr Geld zu erheblich höheren Zinssätzen, was die Kreditaufnahme enorm verteuert. Weil es unmöglich
ist, die Leitzinsen unter null zu drücken – keine Bank vergibt Kredite, wenn sie selbst dafür bezahlen muss –, befinden sich
die politischen Entscheider in einer Zwickmühle: der gefürchteten Liquiditätsfalle.
In genau dieser Lage befanden sich die Zentralbanken in aller Welt in der jüngsten Krise. Als sich die Krise in den Jahren
2008 und 2009 verschärfte, senkten die Währungshüter in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Japan, der Schweiz, Israel,
Kanada und der Eurozone die Zinsen. Im Vergleich zu früheren Finanzkrisen agierten die Geldpolitiker ungewöhnlich schnell
und konzertiert. Doch angesichts der Unsicherheit waren die Banken trotzdem nicht bereit, Kredite zu vergeben, und behielten
ihre hohen Zinsen bei, weshalb der Verbrauch sowie die Investitionen im Unternehmenssektor zum Erliegen kamen. Auch der Beginn
der Deflationsspirale ließ sich mit den Zinssenkungen nicht verhindern. Die konventionelle Geldpolitik hatte ihre Macht über
die Märkte verloren. Es war, als versuchten die Geldpolitiker, Zahnpasta in die Tube zurückzudrücken – ein müßiges Unterfangen.
Das Versagen der Maßnahmen ist einfach zu erklären. Die Herabsetzung der Leitzinsen hatte keine Auswirkungen auf das Finanzsystem.
Die Banken hatten zwar Geld, doch sie weigerten sich, es zu verleihen. Die Krise, die Ungewissheit und die Sorge vor einem
Ausfall ihrer bestehenden Kredite und Investitionen machten |198| sie risikoscheu. Eine verbreitete Redensart bringt die Situation auf den Punkt: Man kann das Pferd zwar zur Tränke führen,
aber man kann es nicht zum Trinken zwingen. Die Notenbank konnte den Banken so viel Geld zur Verfügung stellen, wie sie wollte,
doch sie konnte sie nicht zwingen, es weiterzuverleihen. Wenn sie mit den überschüssigen liquiden Mitteln überhaupt etwas
anfingen, investierten sie sie in Instrumente, die fast so liquide sind wie Bargeld: risikolose Staatsanleihen.
Das Ausmaß der Liquiditätsfalle ließ ein Blick auf den sogenannten »Spread« erkennen – den Abstand zwischen den Zinsen für
sichere und riskantere Anlagen. Dafür gibt es zahlreiche Indizes. Der »TED-Spread« etwa ist die Differenz zwischen dem Zinssatz
für kurzfristige Staatsanleihen und dem LIBOR für dreimonatige Interbankkredite. Normalerweise bewegt sich der TED-Spread
bei rund 30 Basispunkten, weil der Markt Darlehen an andere Banken für kaum weniger riskant hält als Darlehen an die Regierung.
Auf dem Höhepunkt der Krise stand der TED-Spread bei 465 Basispunkten. Die Banken vertrauten einander nicht mehr genug, um
sich für drei Monate Geld zu leihen – es sei denn, zu exorbitanten Zinsen. Gleichzeitig flohen risikoscheue Anleger in die
sichersten Anlagen überhaupt, in die Staatsanleihen. Zusammen trieben diese beiden Faktoren die Kreditkosten für Banken in
die Höhe, während die Regierung der Vereinigten Staaten immer billiger Geld aufnehmen konnte. Der wachsende Abstand war ein
Ergebnis dieser Dynamik und ein Gradmesser für den Druck, dem die Märkte ausgesetzt waren. Während die Leitzinsen fast auf
null absackten, blieb der LIBOR-Satz, zu dem sich die Banken untereinander Geld liehen, hoch.
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