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Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)

Das Ende des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peadar O´Guilín
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lag ruhig an ihrer Brust. Seine Gedanken waren ein einziges Chaos. Er wollte sehen, wie es dem Stamm ging, wie nahe die Wühler waren. Aber es gefiel ihm nicht, Indrani unbewacht zurückzulassen.
    Offenbar griff sie gerade auf ihre Erinnerungen zu. Das konnte nicht schwer sein, wie er inzwischen wusste. Sie musste nur die Augen schließen und denken: Ich möchte noch einmal den Tag erleben, an dem ich das Kriegsschiff gesehen habe.
    Aber würde sie das Geheimnis überhaupt erkennen, wenn sie es sah? Er konnte nur zu den Vorfahren beten, dass sie fand, wonach sie suchte, und dass sie es dazu benutzen konnte, den Stamm zu retten. Saatgut und Waffen , dachte er. Dann wird alles wieder gut.

16
    Erinnerungen
    Nur ein paar Hundert Herzschläge vergingen, bis Indrani plötzlich wieder die Augen aufschlug und nach Luft schnappte, als wäre sie kurz vor dem Ertrinken gewesen.
    »Indrani?«
    Sie sah Stolperzunge an, als wäre er ein Fremder. Dann betrachtete sie ihr Baby mit dem gleichen Gesichtsausdruck.
    »Was hast du gesehen?«
    Sie schüttelte nur den Kopf.
    »Sag es mir, Indrani. Obwohl ich dir nicht versprechen kann, dass ich es verstehen werde. Aber sag es mir. Benutz einen magischen Dachtraum, wenn es nicht anders geht.«
    »Magischer Dachtraum?«
    »Ja. Oder einfach nur … Worte. Wie du magst.«
    »Ich habe Glück gehabt«, sagte sie dann. »Was auch immer geschehen wird, ich habe Glück gehabt, und wenn ich an die Götter glauben würde, sollte ich ihnen danken. Aber ich muss schützen, was mir gehört. Verstehst du mich, mein lieber Mann? Verstehst du?«
    »Nat… natürlich.«
    Sie nahm einen tiefen, zitternden Atemzug. »Dann werde ich es dir zeigen. Du solltest … du solltest dich lieber setzen.«
    Er lockerte das Seil der Wärter, das er sich um den Körper geschlungen hatte, und quetschte sich zwischen sie und die nächste Familie. Er schloss die Augen und zuckte zusammen, als eine jüngere Indrani vor seinem geistigen Auge erschien. Ich benötige deine Einwilligung, um dich mitzunehmen , sagte sie. Akzeptierst du mich als Führerin?
    »Ja.«
    Nicht laut sprechen!
    »Entschuldigung!« Ich meine, Entschuldigung!
    Dann sah er eine Metalltür – das hieß, eigentlich wusste er nur, dass Indrani sie gesehen hatte. Es waren ihre Erinnerungen, die er erlebte, und die Farben, die sie wahrnahm, waren nicht die gleichen, die er selber sah.
    Indranis Blick ging nie in die Ecken, um nach Gefahren zu suchen, oder zur Decke, wo eine fremdartige Bestie hängen mochte. Die Augen eines Dachbewohners waren sorgenfrei.
    So war ich damals , sagte sie in seinem Geist. Wovor hätte ich mich fürchten sollen? Als Tochter des großen Kommissionsvorsitzenden. Hier gab es nichts, was mich fressen wollte, lieber Stolperzunge. Zumindest habe ich das gedacht. Eigentlich sollte ich gar nicht in diesem Kriegsschiff sein. Ich wollte etwas beweisen. Ich wollte damit angeben, dass ich überall Zugang hatte.
    Links befand sich eine weitere Luke . Sie stand offen. Ihr Blick zuckte kurz in diese Richtung. Dann wurde der Blick irritierenderweise noch einmal abgespielt, nur langsamer, bis Stolperzunge ein klares Bild der Luke sah. Er konnte in den angrenzenden Raum blicken, auf mehrere Reihen von Betten , die darauf warteten, dass jemand kam und sie belegte.
    Das ist der erste Hinweis , sagte Indrani. Schon daran hätte ich erkennen können, was los ist. Betten, Stolperzunge. An Bord eines automatischen Kriegsschiffs. Ich dachte, sie wären für die Arbeiter bestimmt, und ich vermute, dass die Arbeiter sie tatsächlich benutzt haben, wenn sie längere Zeit hier waren, zur Geheimhaltung verpflichtet … Dass ich die Betten gesehen habe, ist wahrscheinlich der Grund, warum die Kommission mich töten wollte – mich und vielleicht noch viele andere.
    Ich verstehe nicht , sagte Stolperzunge.
    Er sah, wie Indrani nickte. Ich habe es auch nicht verstanden. Kein Mensch, der einigermaßen bei Verstand ist, würde freiwillig mit einem Raumschiff irgendwohin fliegen wollen. Nicht, wenn man keine frischen Nanos herstellen kann, die einen am Leben erhalten. Man würde an Altersschwäche oder Langeweile oder Vitaminmangel sterben, bevor man irgendein Ziel erreicht hätte. Unsere Vorfahren bauten Schiffe so groß wie Städte – eine komplette Zivilisation mit allen Unterhaltungsmöglichkeiten einer großen Gesellschaft, die gemeinsam zu einem neuen Leben über einer Kolonialwelt aufbrach … Aber nicht mit irgendeinem winzigen, engen Kriegsschiff.

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