Das Erbe der Apothekerin - Roman
nicht reisefähig. Unter den Geistlichen richteten sich aller Augen besonders auf Jean Gerson, den berühmten derzeitigen Kanzler der Pariser Sorbonne, einen Schüler d’Aillys. Wie von seinem Lehrer erwartete man auch von ihm eine bedeutende Rolle auf dem Konzil.
Die Unruhe in der Stadt war inzwischen auch für jeden Bürger fühlbar. Einerseits war ungeklärt, wie sich nach dem Eintreffen der französischen Delegation die Machtverhältnisse innerhalb der »Gallicana« verändern würden. Und zum anderen wusste niemand, wohin das Konzil steuerte. Es war die Forderung laut geworden, König Sigismund mit unbeschränkter Vollmacht als Stellvertreter von Papst Johannes zu einem Treffen mit einem der Gegenpäpste, Benedikt XIII., zu entsenden. Achtete man Johannes schon so wenig, dass er eines »Beschützers« oder – deutlicher gesagt – eines »Aufsehers« bedurfte?
Zu allem Übel waren mittlerweile die Quartiersverhältnisse in der Stadt nahezu untragbar geworden. Das hatte zur Folge, dass Magdalena zu ihrem Leidwesen ihren Vetter in den nächsten Wochen so gut wie gar nicht mehr zu Gesicht bekam. Eingespannt wie ein Sklave rannte Julius Zängle von einem Ende der Stadt zum anderen, um Streitigkeiten zu schlichten, enttäuschte und wütende Gäste zu besänftigen und neue Quartiere zu besorgen – für viel Geld und noch mehr gute Worte.
Die Suche nach angemessenen Unterbringungsmöglichkeiten verlangte Julius Zängle einen immer weiteren Aktionsradius ab. Selbst Nonnenklöster, wie etwa Sankt Marien am See, bezog er mittlerweile in seine Kalkulation mit ein. Die frommen
Frauen besaßen immerhin ein Gästehaus und konnten für geistliche Herren durchaus aufs Angenehmste sorgen.
Aber beinahe noch wichtiger war die Beschaffung von Wachsoldaten, die für Ruhe und Ordnung sorgten. Ritter Bodmann mit seinen paar Mannen war inzwischen heillos überfordert, und mit der Konstanzer Stadtwache allein wäre sowieso das pure Chaos ausgebrochen.
Das sah inzwischen sogar Dominikus Läpple ein; der Ratsherr war auf einmal zum eifrigsten Bewunderer Doktor Zängles geworden. Die Stadtväter bewilligten ohne langes Zögern, wenn auch zähneknirschend, neue Gelder zur Anwerbung Bewaffneter. Es geschah schließlich auch zum Schutz der eigenen Frauen und Töchter.
Inzwischen gab es vier Bordelle und fünf Badestuben in Konstanz nebst einer ganzen Schar ambulanter Huren; und immer noch schien nicht genügend willige Weiblichkeit für die liebesbedürftigen Herren vorhanden zu sein …
Was Magdalena plötzlich großes Unbehagen bereitete, war der eisige Wind, der ihr auf einmal in der Klosterapotheke ins Gesicht blies. Einer der Brüder, der mit ihr zusammen als Pharmazeut für die Herstellung, die Aufbewahrung und den Verkauf von Drogen, Salben, Tees, Kräutern und vielem anderen zuständig war, behandelte sie – offensichtlich aufgestachelt von Frater Malachias – zunehmend feindseliger.
»Er sucht förmlich nach Fehlern, die er hofft, mir nachweisen zu können. Ich weiß bald nicht mehr, was ich machen soll, Betz«, beklagte sich Magdalena bei ihrem Schützling.
»Da wird er sich gewiss schwer tun, der Miesepeter.« Betz nahm die Sache nicht recht ernst. Aber die junge Frau hegte einen gewichtigen Verdacht.
»Das allein ist es nicht. Ich glaube Beweise dafür zu haben,
dass er sogar die Arzneien, die ich für Kranke zubereite und für Euch ins Kräuterkämmerlein stelle, damit Ihr sie später ausliefern könnt, manipuliert, indem er sie durch andere ersetzt oder durch unpassende Zutaten verfälscht.«
»Teufel nochmal! Das wäre ja direkt gemeingefährlich!«, rief Betz aus. »Es könnte den Leuten schaden und Euch Euren guten Ruf kosten.«
»Das will er ja gerade!«, jammerte Magdalena. »Aber das ist beileibe nicht das Schlimmste! Was geschähe mit mir, wenn einer der Patienten stürbe, der nachweislich von mir eine andere Medizin erhält als jene, die der Medicus ihm verschrieben hat?«
Der junge Bursche, dem nun die ganze Tragweite der Sache aufging, fluchte; dann versprach er, von jetzt an dem hinterhältigen Malachias und dem Bruder in der Apotheke, der sich offenbar zu seinem Handlanger machte, ganz genau auf die Finger zu sehen.
»Und wehe, ich erwische ihn bei unverantwortlichen Machenschaften, dann schlage ich ihm auf seine dreckigen Pfoten, so dass er lange Zeit keinen Destillierkolben und keine Ampulle mehr anfassen kann. Verlasst Euch drauf, Frau Lena!«
Unwillkürlich wurde der jungen Apothekerin
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