Das Erbe der Apothekerin - Roman
Umstände macht.«
»Wieso ist er überhaupt eingesperrt?«, stellte sie sich unwissend. »Soweit ich weiß, hat ihm der König freies Geleit
zugesichert und keineswegs einen Aufenthalt in diesem elenden Rattenloch.«
Der Dominikaner war indes nicht gewillt, mit ihr zu diskutieren.
»Kümmert Euch um den Mann und schweigt!«, befahl er knapp und wandte ihr unhöflich den Rücken zu. »Und beeilt Euch gefälligst, damit ich wieder zurück ins Refektorium kann.«
»Aber gewiss doch, Pater! Ihr könntet Euch sonst womöglich einen Schnupfen in diesem Eisloch holen.« Wenn der Mönch glaubte, sie so leicht mundtot machen zu können, hatte er sich getäuscht.
Jan Hus hatte den Streit interessiert verfolgt; jetzt winkte er jedoch ab.
»Macht Euch keine Sorgen um mich, junge Frau«, bat er die Apothekerin mit heiserer Stimme. »Ich werde nicht mehr lange hier ausharren müssen! Sobald Seine Majestät, der König, in Konstanz eintrifft und von meinem Schicksal erfährt, wird er mich umgehend befreien. Das Ganze kann nur ein Irrtum sein!«
Offenbar wusste er noch gar nichts von des Königs Ankunft. Magdalena hielt es für besser, dem Magister seine letzte Hoffnung nicht zu zerstören. Und wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde? Womöglich überlegte es sich König Sigismund ja doch noch.
»Auf jeden Fall müsst Ihr Euren Oberkörper entblößen, damit ich an Eurer Brust und Eurem Rücken horchen kann, ob nicht bereits Eure Lungen angegriffen sind«, forderte sie den Reformator beherzt auf.
Der fromme Mann zögerte. Ganz offensichtlich genierte er sich, vor einem Frauenzimmer – noch dazu einem so jungen – sein Hemd abzulegen. Aber der Dominikaner befahl
ihm barsch, sich freizumachen, während er mit unwilligem Gesichtsausdruck seine klammen Finger anhauchte. Trotz seiner wollenen Kutte schien er bereits nach kurzem Aufenthalt in diesem Kerker jämmerlich zu frieren.
Magdalena, die ihr Ohr auf die magere Brust und danach auf den abgezehrten Rücken des Magisters legte, um seinen Atemzügen zu lauschen, erschrak. Die Geräusche, die aus dem Brustkorb, aus dem die Rippen hervorstanden, drangen, beunruhigten sie sehr. Das Rasseln bei jedem Atemzug hörte sich genau so an wie jenes, das ihr einst ihr Vater bei einem alten Mann vorgeführt hatte, der bald darauf an der Schwindsucht verstorben war.
»Ich befürchte, Herr Magister, dass Ihr Euch bereits eine Lungenentzündung zugezogen habt. Kein Wunder, bei dieser so außerordentlich komfortablen Unterbringung!«
Letzteres war an den Mönch gerichtet, der eine gleichgültige Miene zur Schau trug. »Gebt dem Gefangenen die entsprechende Arznei – und dann macht Euch wieder davon, Jungfer«, sagte er kurz angebunden.
»Das werde ich natürlich tun – aber ich werde nicht eher gehen, bis ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe, wie Ihr wenigstens so viel christliche Barmherzigkeit geübt und dem armen Mann eine warme Decke und ein Kopfkissen gebracht habt. Außerdem braucht der Patient heißen Tee zum Auflösen des Arzneipulvers sowie eine kräftige Fleischsuppe, um ihn wieder etwas zu Kräften kommen zu lassen. Oder wollt Ihr, dass er Euch wegstirbt? Dann allerdings hätte ich mir den Weg hierher sparen können! Und übrigens: Für gewöhnlich werde ich ›Frau Magdalena‹ genannt, ehrwürdiger Vater!«
Angesichts von Magdalenas Temperament hielt der Mönch es offenbar für besser, dies unkommentiert zu lassen und stattdessen in Kürze die Anweisungen der jungen Frau
zu erfüllen. Angewidert warf er Kissen und Wolldecke auf das Lager des Kranken. Ein junger Laienbruder folgte ihm gleich darauf mit einer Kanne Tee und einem Topf voll heißer Rinderbrühe, deren würziger Duft sich im Nu in dem winzigen Kämmerchen ausbreitete.
»War’s das jetzt endlich, Frau Magdalena?«, fragte der Dominikaner süffisant.
Diese schob dem Magister fürsorglich das Kissen unter den Kopf und deckte ihn, der längst wieder erschöpft auf der schmalen Pritsche lag, mit den beiden Decken zu; ja, sie stopfte die Ränder der wollenen Tücher rund um seinen ausgemergelten Körper sorgfältig fest, damit der kalte Luftzug, der allenthalben durch die Ritzen der Wände drang, ihn nicht berühren sollte. Noch einmal schärfte sie dem Kranken ein, wie er die Arznei zu nehmen habe, auch die Schlaftropfen, die sie ihm daließ.
»Und jetzt: Gott befohlen, Doktor Hus!«, verabschiedete sie sich dann mit betonter Zuversicht – die sie keineswegs empfand. Was sie stattdessen fühlte,
Weitere Kostenlose Bücher