Das Erbe der Azteken
dunklen Flecken waren die Verfärbungen und die verkrusteten Muschelreste verschwunden, weggespült von Dobos Zaubermitteln. Die bronzene Außenseite schimmerte im Licht der Halogendeckenlampen des Arbeitsraums.
In einem Denim-Overall und weißem T-Shirt und die Hände in die Seiten gestemmt, begutachtete Dobo das Ergebnis seiner Arbeit. »Hübsch, nicht wahr?«
»Gut gemacht, Dobo«, sagte Sam anerkennend.
Wäre da nicht sein häufiges und fröhliches Lachen gewesen, Alexandru Dobo hätte mit seiner Glatze und seinem buschigen, an den Enden herabhängenden Schnurrbart fast einen bedrohlichen Anblick geboten. Er war, wie Remi einmal festgestellt hatte, in Wahrheit ein Kosak, der lediglich in einem falschen Zeitalter gelandet war.
»Danke, mein Freund.« Er gab Sam einen Klaps auf den Rücken. Sam machte einen taumelnden Schritt nach vorne, dann einen zweiten – weg von Dobo. »Haben Sie schon hineingeschaut?«, fragte der Rumäne. »Schauen Sie rein! Pjotr, hilf mal.«
Dobo und Pete banden die Glocke vom Querbalken los, hoben sie aus dem Gerüst, drehten sie um und legten sie, mit der Öffnung nach oben, wieder in den Käfig. »Sehen Sie, sehen Sie!«
Sam, Remi und Selma kamen heran und schauten ins Innere der Glocke. Remi seufzte, und Sam meinte nach einigen Sekunden: »Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich überrascht bin.«
»Ich auch«, schloss sich Remi an.
Kreuz und quer eingraviert ins Innere der Glocke waren Dutzende, wenn nicht gar Hunderte, wie es schien, aztekischer Symbole zu erkennen.
Hilflos schüttelte Sam den Kopf und murmelte: »Ich bin gespannt, was Blaylock sonst noch für uns auf Lager hat.«
Sam und Remi versammelten sich mit ihrem Team am Arbeitstisch und diskutierten während der nächsten Stunden, versorgt mit zwei XXL-großen Backblechen von Sammy’s Woodfired Pizzas, über eine Lösung des Rätsels. Der springende Punkt, darin kamen sie überein, ließ sich in zwei Fragen zusammenfassen:
Stellte Blaylocks offensichtliche geistige Labilität alles, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatten, in Frage?
Rannten Rivera und seine Freunde, angeregt durch Blaylocks Einfluss oder auf Grund anderer Beweise, hinter einem Phantom her?
Es war ganz klar, dass Rivera entweder etwas suchte oder sich bemühte, etwas im Verborgenen zu halten, und zwar etwas, das wahrscheinlich aztekischen Ursprungs war.
Pete Jeffcoat sagte: »Wenn zutrifft, was Sie von den Touristen erzählten, die sie ermordet haben, dann liegt einigermaßen klar auf der Hand, dass sie sich bemühen, etwas zu verstecken. Mir fällt es schwer zu glauben, dass sie all das nur wegen Blaylock tun sollten. Hätten sie nicht die gleichen Fragen wie wir über diesen Burschen gestellt?«
»Gutes Argument«, sagte Sam.
»Wenn das der Fall ist«, ergriff Wendy das Wort, »dann war Blaylock also möglicherweise gar nicht verrückt. Vielleicht war er nur ein Exzentriker und hatte ein durchaus begründetes Interesse an den Azteken und ihrer Geschichte.«
»Hinzu kommt seine Besessenheit hinsichtlich des Schiffes«, fügte Selma hinzu.
Remi nickte. »Okay, nehmen wir das mal als gegeben hin. Wie und warum, wissen wir nicht, aber auf jeden Fall entwickelte Blaylock eine besondere Beziehung zur Shenandoah – oder El Majidi. Irgendwann kurz danach entstand in ihm ein Interesse für alles Aztekische. Ehe wir weitermachen, müssen wir herausfinden, wann es geschah und wodurch es ausgelöst wurde.«
Sam fragte Pete und Wendy: »Wie kommen wir mit Miss Cynthias Briefen voran?«
»In gut einer Stunde dürften wir sie alle gesichtet haben«, antwortete Wendy. »Weitere zwei Stunden, um sie zu scannen und dem Computer Gelegenheit zu geben, sie mit einem optischen Symbol-Wiedererkennungsprogramm zu bearbeiten. Danach können wir sie chronologisch ordnen und nach Schlüsselwörtern durchsuchen.« Sam grinste. »Haben Sie schon Pläne für heute Abend?«
»Ich vermute, jetzt haben wir welche«, sagte Pete.
Da sie genau wusste, wie das Gehirn ihres Mannes arbeitete, wunderte sich Remi nicht, als sie ihn mit dem iPad auf der Bettkante sitzen sah. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte 4:12 Uhr.
»Ein Geistesblitz?«, fragte sie.
»Ich dachte über Chaos nach.«
»Natürlich, was sonst.«
»Und dass die meisten Mathematiker nicht daran glauben. Sie wissen zwar, dass es existiert – es gibt ja sogar eine Chaos-Theorie –, aber ich denke, insgeheim sind sie alle davon überzeugt, dass doch alles einer Ordnung gehorcht. Selbst wenn sie
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