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Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Erbe der Gräfin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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ließen sich die beiden Frauen am Wegesrand auf den Boden sinken, wo sich der Mönch nach kurzer Zeit zu ihnen gesellte.
    »Warum flieht ihr?«, stellte Brigitta schließlich die Frage, die ihr die ganze Zeit über auf der Zunge gebrannt hatte. »Und warum diese Verkleidung?« Sie deutete auf die graue Leprakleidung, die das Mondlicht zu schlucken schien. Außer den mit einem Band befestigten Hüten führten Clementine und ihr Gefährte Klappern, lange Stöcke und Trinkflaschen mit sich.
    Clementine stieß einen Seufzer aus. »Der Abt hat neue Ideen von seiner Reise nach Avignon mitgebracht«, erwiderte sie schließlich bitter. »Anscheinend hat er es sich in den Kopf gesetzt, dem moralischen Verfall im Kloster Einhalt zu gebieten!« Sie lachte freudlos. »Als ob er nicht selbst jahrelang den Hurenzins kassiert und in die eigene Tasche gesteckt hätte!«
    Diese Abgabe, mit der sich Mönche und Priester bei ihren Vorgesetzten von der Schuld der fleischlichen Lust freikauften, war schon lange Brauch und bisher selten infrage gestellt worden. Denn viele der Brüder und Schwestern empfanden das Keuschheitsgelübde als etwas, das zu umgehen eine verhältnismäßig kleine Sünde darstellte.
    »Aber was hat das mit dir zu tun?« Kaum waren die Worte heraus, schalt sich Brigitta eine dumme Gans; denn ganz offensichtlich war der Mönch, bei dem es sich tatsächlich um Bruder Thomas handelte, mehr als nur ein Freund ihrer Schwester. »Entschuldige«, setzte sie zerknirscht hinzu. »Aber das ist alles so …« Ihr fehlten die richtigen Worte.
    Thomas, der sich neben Clementine niedergelassen hatte, ergriff deren Hand und drückte sie zärtlich.
    »Sie erwartet ein Kind von mir.« Den Glanz in seinen Augen konnte auch die Dunkelheit nicht verbergen.
    »Ja«, gestand Clementine. »Und wenn irgendjemand davon erfahren hätte, hätte der Abt Thomas zu einem zweiten Abaelardus gemacht!« Sie schauderte, da die legendäre Liebesbeziehung des Gelehrten damit geendet hatte, dass der Vormund seiner Geliebten ihn hatte entmannen lassen.
    »Er hat sogar befohlen, dass in Zukunft je ein Bett zwischen Mönchen und Novizen frei zu bleiben hat«, schnaubte Thomas. »Damit sie nicht der Versuchung erliegen!« Der Zorn ließ seine Stimme beben. »Die Verkleidung«, ergänzte er und wies mit dem Kinn auf Clementines Leprahut, »wird uns auf der Reise schützen.«
    »Aber wo wollt ihr denn jetzt bleiben?«, fragte Brigitta bang, da mit der Flucht der Schwester ihre eigenen Pläne mit einem Mal zerschlagen worden waren.
    »Wir werden nach Altheim gehen und meinen Vater um Unterschlupf bitten«, erklärte Thomas nach einem kurzen Zögern, das Brigitta vermuten ließ, dass ihm diese Entscheidung nicht leicht gefallen war.
    »Du kannst mit uns kommen, wenn du willst«, fügte er mit einem Blick auf Clementine hinzu, die nüchtern feststellte: »Offenbar ist dem großen Ulrich von Ensingen das Schicksal seiner Töchter immer noch gleichgültig!« Sie zog die Beine näher an den schlanken Körper und schlang die Arme um die Knie. »Ich habe von deiner Verlobung mit Ortwin gehört.«
    Die Erwähnung ihres ekelhaften Bräutigams verursachte Brigitta Übelkeit. »Er hat versucht, mich zu schänden!«, platzte sie heraus, und die Erinnerung an die furchtbare Demütigung ließ Tränen der Hilflosigkeit in ihr aufsteigen. »Er ist ein Schwein!« Das unausgesprochene Verständnis ihrer Schwester half ihr, die Fassung wiederzugewinnen, und als diese nach einigen Augenblicken des Schweigens tief Luft holte, überraschte Brigitta kaum, was sie zu hören bekam.
    »Vor sechs Jahren, kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag«, begann Clementine leise, »hat Ulrich einem Ratsherrn meine Hand versprochen. Ludwig hieß er.« Sie seufzte leise. »Er war so alt, dass er nicht einmal mehr alleine zum Abtritt gehen konnte. Zerbrechlich, aber voller Güte.« Sie wischte verstohlen mit dem Handrücken über ihre Augen. »Wir waren kaum drei Wochen verlobt, als er plötzlich starb. Unser Vater hat keine Minute damit vergeudet zu trauern, sondern umgehend nach einem neuen Bewerber gesucht. Aber keiner wollte eine Frau aus zweiter Hand.« Die Erzählung verriet den Zorn, der immer noch in ihr brannte. »Ich habe Ludwig mehr verehrt als meinen eigenen Vater«, gestand sie. »Wäre ich seine Gemahlin geworden, hätte er mir niemals ein Leid zugefügt. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als Ulrich das wertvollste Geschenk, das Ludwig mir zugesteckt hatte, zu geben – im

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