Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
sein!«
Aber anscheinend war im Moment keiner der beiden anderen Halblinge für Borros Art von Scherzen empfänglich.
»I ch denke oft an zu Hause«, sagte Neldo schließlich, nachdem eine ganze Weile niemand ein Wort gesagt hatte. »I ch frage mich, ob unser Wohnbaum noch steht und ob es unserem Stamm gelungen ist, sich vor den streunenden Orkbanden verborgen zu halten.«
Borro schluckte. »D aran muss ich auch oft denken«, gestand er.
Zalea blickte unterdessen aus dem Fenster. Ihr Blick veränderte sich und hellte sich sichtlich auf. »A rvan!«, stieß sie hervor. Kurz entschlossen schwang sie sich aus dem Fenster. An der Fassade eines Menschenhauses hinaus hinabzuklettern war nun wirklich nicht schwerer, als von der Hauptastgabel eines Wohnbaums im Halblingwald auf den Boden zu gelangen. Zumindest nicht, wenn man die geschickten Hände und die kräftigen Zehen hatte, wie sie Angehörigen des kleinen Volkes nun mal eigen waren.
Es dauerte nur Augenblicke, bis das Halblingmädchen den Burghof erreicht hatte. Das letzte Stück bewältigte sie mit einem weiten Sprung, den sie spielend abzufedern wusste. Sie lief Arvan entgegen, der zusammen mit Brogandas gerade das Tor zum inneren Burghof durchschritten hatte.
»A rvan! Du lebst!«, stieß sie hervor und konnte ihre Freude gar nicht lautstark genug zum Ausdruck bringen.
Als sie vor ihm stand, fasste sie ihn bei den Schultern, dann blickte sie zu ihm auf und starrte auf seinen Hals. »W as…?«
»D as ist schon fast geheilt«, behauptete Arvan.
»W as bei allen Waldgöttern ist mit dir passiert?«
»E ine lange Geschichte, auch wenn ich nicht lange fort war.«
Sie berührte das Brandmal an seinem Hals– und jene Stelle, die wie eine Narbe aussah. Bei jedem anderen hätte sie angenommen, dass er sich dort vor einigen Jahren eine schlimme, vermutlich lebensbedrohliche Verletzung zugezogen hatte. Aber dass das bei Arvan etwas anders war, wusste sie ja. Schließlich waren sie zusammen aufgewachsen, und sie hatte viele seiner schlimmen Stürze und die Verletzungen, die er sich in seinen Jugendjahren im Halblingwald zugezogen hatte, aus nächster Nähe miterlebt. »T rotz der besonderen Heilungskräfte, die dir eigen sind, gibt es da bestimmt noch etwas, um dir zu helfen.«
»B evor Brogandas und ich losgingen, tat es noch ziemlich weh, aber das ist besser geworden.« Er lächelte. »A ber du weißt ja, dass ich ein Optimist bin.«
»A llerdings!«
Inzwischen waren auch Borro und Neldo aus dem Fenster geklettert und an der Hauswand hinab bis zum Boden gelangt.
»I ch wusste doch, dass dich nichts umbringen kann«, meinte Borro. »K eine Magie und nicht einmal schlechte Gesellschaft.« Er wandte sich an Brogandas. »I hr wisst, dass das nicht böse gemeint war, denke ich, oder? Nein? Ich rede halt manchmal so vor mich hin, und manches ist… Wenn es Euch Genugtuung verschafft, dürft Ihr mich auch für ein paar Tage bei meinem vollständigen Namen Borrovaldogar nennen, obwohl mir das eigentlich zuwider ist.«
Das Gesicht des Dunkelalben blieb vollkommen unbewegt. Die Runen, die seinen Kopf bedeckten, veränderten sich nicht. Brogandas’ kühler, durchdringender Blick schien Borro geradezu zu durchbohren.
»W enn euch die Freundschaft zu diesem jungen Helden etwas wert ist, dann solltet ihr in nächster Zeit sehr gut auf ihn aufpassen.«
»A ch ja?«, fragte Zalea. »E s klingt schon eigenartig, jemanden über Freundschaft reden zu hören, von dem ich annehme, dass er nicht einmal richtig weiß, was dieses Wort überhaupt bedeutet.«
»S eid ihr Halblinge immer so charmant zu jemandem, der euch das Leben rettete, als die Vogelreiter Ghools euch eingekreist hatten?«, erwiderte Brogandas schneidend.
»S ie hat es nicht so gemeint«, behauptete Borro. Aber der Halbling mit dem wirren roten Haarschopf, durch den selbst seine spitzen Ohren kaum hindurchzustechen vermochten, hatte kein Talent zur Schauspielerei, und erst recht keines zur Lüge.
Der neue Hochkönig
Der Audienzsaal des Statthalters von Gaa war vollkommen überfüllt. Die Könige von gleich mehreren Reichen hielten hier Hof, wo normalerweise lediglich ein Provinzstatthalter über Händler, Bauern und Fischer aus der Umgebung zu Gericht saß.
Auf einem hölzernen Podest war für sämtliche gekrönten Häupter je ein Thron aufgestellt worden, gefertigt aus dem Holz der Riesenbäume des Halblingwaldes. Ob es nun an einer diplomatischen Übereinkunft der Könige untereinander oder nur an einem
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