Das Erbe der Halblinge: Roman (German Edition)
hatte, seit der Trockenlegung eines Großteils der Sümpfe nur noch für einige nördliche Teile der Provinz Transsydien zutreffend war.
Arvan vergaß vor lauter Staunen sogar für einen Augenblick, sein Pferd mit seinen Gedanken zu beherrschen. Leichtsinnigerweise hielt er die meiste Zeit über die Zügel nicht fest, sondern hatte sie einfach um den Sattelknauf geschlungen, an dem sie locker herabhingen. Das Pferd machte einen Satz und kam erst nach mehreren Wagenlängen wieder zum Stillstand.
Borro grinste, als er sah, dass er nicht der Einzige war, der mit Pferden so seine Schwierigkeiten hatte.
Auch Neldo und Zalea blickten mit offenem Mund zu dem hohen, schlanken und sehr weit in den Himmel ragenden Turm, dessen leuchtender Schimmer schon aus der Entfernung von fast einem Tagesritt zu sehen war. Transsydien war schließlich ein flaches Land. Trockengelegtes Schwemmland, das in weiten Teilen eingedeicht werden musste, um nicht regelmäßig von den Fluten des Caraboreanischen Meeres überspült und vielleicht sogar auf Dauer vernichtet zu werden. Bäume gab es nur sehr vereinzelt, und die wenigen Gehöfte und kleinen Ortschaften verdeckten nicht den Blick.
Von dem Turm ging auch am Tag ein blauweißer Schimmer aus, der den Turm wie ein unübersehbares, gewaltiges Leuchtfeuer erstrahlen ließ. Vermutlich war er bei wolkenverhangenem Himmel oder in der Nacht noch beeindruckender.
Lirandil zügelte sein Pferd.
Während ihres bisherigen Ritts hatte ein Schweigen geherrscht, das zumindest Arvan als ziemlich bedrückend empfunden hatte. Er hatte es vermieden, in Brogandas’ Nähe zu kommen. Selbst dem Blick des Dunkelalben war er ausgewichen. Eine Flut von Gedanken war ihm unterdessen durch den Kopf gegangen. Aber sosehr er die Dinge auch drehte und wendete, er konnte nicht finden, dass der Fehler bei ihm lag.
»H ört mir zu«, sagte Lirandil jetzt. »B evor wir Asanilon betreten, was irgendwann in der Nacht der Fall sein wird, sollten wir alle uns klarmachen, warum wir hier sind und was das Ziel unserer Reise ist. Einige von euch scheinen vergessen zu haben, dass ganz Athranor vor einer gewaltigen Bedrohung steht. Die Welt, wie wir sie kennen, zerfällt gerade. Ghool wird nicht einen Stein auf dem anderen lassen, und das, was er auf den Trümmern des Alten errichten wird, dürfte niemandem von uns gefallen: eine Herrschaft der Grausamkeit und der dunklen Magie. Die Herrschaft eines abgrundtief bösen Willens, der sich allen aufdrängen und sie beherrschen wird. In dem Moment, in dem ich erkannte, dass dies uns allen droht, gleichgültig, ob Elb, Mensch, Halbling oder Dunkelalb, war mir klar, dass ich etwas dagegen tun muss. Ich habe meine ganze Kraft eingesetzt, damit die andere Seite in diesem gewaltigen Krieg überhaupt noch eine Chance behält. Jahrhunderte ist das nun schon her, und auch wenn man uns Elben oft als willensschwach und zögerlich beschreibt, so hat mir doch eine Tugend, für die die Elbenheit auch steht, dabei sehr geholfen: die Geduld und das Wissen darum, dass es manchmal sehr lange dauern kann, bis große Ziele sich erfüllen.« Lirandil schwieg, und sein Blick wanderte von einem zum anderen. Arvan fragte sich einen Moment, ob wohl Borro oder gar Brogandas auf die recht pathetische Rede des Fährtensuchers eine spöttische Erwiderung auf den Lippen haben würde.
Aber nichts dergleichen war der Fall.
Borro, der ja eine ganz eigene Begabung darin hatte, kein Fettnäpfchen auszulassen, presste die Lippen fest aufeinander, so, als wollte er verhindern, dass sich womöglich ein unbedachtes Wort fast wie von selbst aus seinem Mund löste.
Brogandas hingegen hatte die Kapuze seiner Kutte weit über seinen Kopf gezogen, sodass sein Gesicht im Schatten lag und es unmöglich war, auch nur zu erahnen, was der Dunkelalb in diesem Moment dachte.
»J eder von euch hat gute Gründe, weshalb er sich mir angeschlossen hat«, fuhr Lirandil fort. »M anch einen wollte ich gar nicht mitnehmen und musste später erkennen, wie gut es war, nicht auf sich allein gestellt, sondern von Gefährten begleitet zu sein. Manch einer unter uns hat vielleicht lernen müssen, dass das Bild, das er sich vom anderen gemacht hatte, nicht der Wirklichkeit entsprach. Zum Beispiel habe ich die Begleitung und den Beistand von Halblingen schätzen gelernt, auch wenn ich zuvor wie viele andere Elben auch gewohnt war, sie nur als das ›Kleine Volk‹ zu sehen. Besonders hat uns alle wohl ein unter den Halblingen aufgewachsener
Weitere Kostenlose Bücher