Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
königlichen Ankleidezimmer um, weil ich jetzt die Königin bin.
»Gott segne Euch, Euer Gnaden«, sagt sie. »Ihr seid wirklich sehr hoch aufgestiegen.«
»Das ist wahr, Lady Rochford«, sage ich höchst feierlich. »Und ich werde Euch bei mir behalten, damit Ihr mir auch in Zukunft Rat und Hilfe seid.«
»Euer Onkel hat mir ebendies aufgetragen«, erwidert sie. »Ich soll Eure Erste Hofdame sein.«
»Ich werde meine eigenen Damen ernennen«, sage ich hochmütig.
»Nein, das werdet Ihr nicht«, entgegnet sie liebenswürdig. »Euer Onkel hat die wichtigsten Ernennungen bereits vorgenommen.«
Ich sehe nach, ob die Tür auch fest geschlossen ist. »Wie geht es der Königin?«, frage ich dann. »Ihr seid doch eben erst von Richmond gekommen, nicht wahr?«
»Nennt sie nicht Königin!«, fährt sie mir sogleich über den Mund. »Ihr seid jetzt die Königin.«
Ich gebe einen Laut des Unmuts über meine eigene Dummheit von mir. »Ich vergaß ... Aber wie geht es ihr?«
»Als ich sie verließ, war sie sehr traurig. Nicht um seinetwillen, glaube ich, sondern weil sie uns verlor. Sie mochte das Leben als Königin, sie mochte ihre Gemächer und unsere Gesellschaft und alles, was ihre Stellung mit sich brachte.«
»Ich mochte es auch«, sage ich sehnsüchtig. »Auch ich vermisse das. Lady Rochford, wirft sie mir viel vor? Hat sie etwas gegen mich gesagt?«
Lady Rochford bindet mein Nachthemd am Hals zu. Auf die Bänder sind kleine Staubperlen gestickt. Es ist ein wunder-, wunderschönes Nachtgewand, es wird mir in der Hochzeitsnacht ein Trost sein, solch ein Gewand zu tragen, dessen Perlen ein kleines Vermögen gekostet haben. »Sie gibt Euch keine Schuld«, sagt sie freundlich. »Dummes Mädchen. Jeder weiß doch, dass es nicht an Euch liegt - außer, dass Ihr jung und hübsch seid, und dafür kann man Euch keine Schuld geben. Nicht einmal sie. Sie weiß, dass Ihr ebenso wenig für ihren Sturz und ihr Unglück verantwortlich seid wie für den Tod Thomas Cromwells. Jeder weiß, dass Ihr an all diesen Intrigen nicht die geringste Schuld tragt.«
»Ich bin die Königin«, sage ich ziemlich verärgert. »Man sollte doch meinen, dass ich mehr zähle als alle anderen.«
»Ihr seid die fünfte Königin«, erwidert sie, ungerührt durch meine Gereiztheit. »Und um ehrlich zu sein: Es hat keine Königin gegeben seit der ersten, die dieses Titels würdig gewesen wäre.«
»Nun, aber jetzt bin ich die Königin«, sage ich beharrlich. »Und das ist alles, was zählt.«
»Königin des Tages«, sagt sie und tritt hinter mich, um die kurze Schleppe meines Nachtgewandes auszubreiten. Auch diese ist mit einer Unzahl von Staubperlen besetzt, es ist ein überaus prächtiges Nachthemd. »Eine Eintagsfliegen-Königin, Gott erhalte Eure kleine Majestät.«
J ANE B OLEYN , O ATLANDS -P ALAST , 30. J ULI 1540
Der König, der nun seine Rose ohne Dornen errungen hat, ist entschlossen, sie vorerst der Welt vorzuenthalten. Die Hälfte der Höflinge weiß nicht einmal, dass die Hochzeit stattgefunden hat, denn sie sind in Westminster geblieben, ohne einen Schimmer dessen, was hier vorgeht. Hier ist nur der intime Zirkel des Königs: seine neue Frau, ihre Familie und seine engsten Freunde und Berater; und ich gehöre auch dazu.
Wieder einmal habe ich mich als loyal erwiesen, wieder einmal bin ich die Vertraute der Königin, die Berichterstatterin. Wieder einmal lasse ich mich in den Gemächern der Königin platzieren, damit ich ihre Geheimnisse ausspionieren und weitertragen kann. Ich bin die enge Freundin der Königin Katharina, der Königin Anne, der Königin Jane und der letzten Königin Anna gewesen und habe erlebt, wie sie alle des Königs Gunst verloren oder gar sterben mussten. Wäre ich abergläubisch, dann müsste ich mich für eine Art Pesthauch halten, dessen freundliches Wispern den Tod bringt.
Aber ich bin nicht abergläubisch, und ich denke nicht über die Rolle nach, die ich bei den früheren Königinnen gespielt habe. Ich habe meine Pflicht für König und Familie getan, ja, ich habe sogar noch der Pflicht gehorcht, als sie mich alles kostete, was mir lieb und teuer war: meine wahre Liebe und meine Ehre. Warum hat nur mein eigener Ehemann ...? Aber es hat heute Abend keinen Sinn, an George zu denken. Wäre er noch am Leben, so würde er sich freuen: Schon wieder eine Howard auf Englands Thron und eine Boleyn in höchst angesehener Stellung. Er war der ehrgeizigste der Boleyns. Vor allem er hätte jede Lüge
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