Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
erst dann in seine Gemächer.
Dieser Palast eignet sich vorzüglich für das Schmieden von Intrigen: Sämtliche Korridore sind voller heimlicher Winkel und Verbindungen, jeder Hof hat in seiner Mitte einen kleinen Garten, wo man wie zufällig aufeinandertreffen kann, jede Wohnung hat mindestens zwei Eingänge. Nicht einmal ich kenne alle Geheimgänge von den Schlafgemächern zu den geheimen Themse-Toren. Nicht einmal Anne kannte alle, und mein Mann George ebenfalls nicht.
Der Herzog befiehlt mir, nach dem Dinner in seine Privatgemächer zu kommen. Leise schlüpfe ich aus dem Speisesaal und mache einen Umweg zu seiner Wohnung, damit ich nicht gesehen werde. Dort angekommen, trete ich ohne Anklopfen ein.
Der Herzog sitzt am Kamin. Aus der Tatsache, dass ein Diener soeben die Teller abräumt, ersehe ich, dass er privatim gespeist hat - und besser als wir Übrigen im Speisesaal, könnte ich mir denken. Die Küchen liegen in diesem alten Kasten so weit entfernt vom Speisesaal, dass die Speisen immer kalt ankommen. Jeder, der im Palast eine Privatwohnung besitzt, lässt sich extra bekochen. Der Herzog bewohnt wie überall auch hier die besten Zimmer. Nur Cromwell hat bessere Gemächer als das Haupt der Howards. Der Herzog bedeutet seinem Diener, uns allein zu lassen, und bietet mir ein Glas Wein an.
»Ihr könnt Euch setzen«, sagt er.
Anhand dieser Ehre kann ich ermessen, dass die Aufgabe, die mich erwartet, vertraulich und möglicherweise gefährlich ist. Abwartend nippe ich an meinem Wein.
»Und wie stehen die Dinge in den Gemächern der Königin?«, erkundigt er sich leutselig.
»Nicht schlecht«, erwidere ich. »Sie beherrscht unsere Sprache jeden Tag ein wenig besser, und ich glaube, dass sie inzwischen fast alles versteht. Manche unterschätzen das. Diese Leute möchte ich warnen.«
»Ich habe die Warnung vernommen.« Er nickt. »Und wie ist ihre Stimmung?«
»Heiter«, berichte ich. »Sie zeigt keinerlei Anzeichen von Heimweh, sondern scheint stattdessen eine große Liebe zu England gefasst zu haben. Den jüngeren Mädchen ist sie eine gütige Herrin: Sie beobachtet sie und schenkt ihnen Aufmerksamkeit. Ihre Ansprüche sind hoch: Sie hält Ordnung unter ihrer Gefolgschaft. Sie achtet die Gebote, ist aber nicht übertrieben fromm.«
»Sie betet wie eine Protestantin?«
»Nein, sie hält sich an die Gottesdienstriten, die der König eingeführt hat«, sage ich. »Sie befolgt sie gewissenhaft.«
Er nickt. »Sie hegt keinen Wunsch, nach Kleve zurückzukehren?«
»Ich wüsste nicht, dass sie einen solchen geäußert hätte.«
Er wartet. Das ist so seine Art: Er schweigt, sodass man sich genötigt fühlt, weiter auszuholen.
»Ich glaube, sie versteht sich überhaupt nicht mit ihrem Bruder«, wage ich schließlich eine Erklärung. »Und ich glaube, sie war der Liebling ihres Vaters, der am Ende seines Lebens an den Folgen der Trunksucht zugrunde gegangen ist. Es hört sich so an, als hätte ihr Bruder seinen Platz eingenommen und die Herrschaft an sich gerissen.«
Wieder nickt er. »Es besteht also keine Möglichkeit, dass sie gewillt wäre, den Thron aufzugeben und heimzukehren?«
Ich schüttele den Kopf. »Niemals. Sie liebt es, Königin zu sein, und sie stellt sich bereits vor, an den Kindern des Königs Mutterstelle zu vertreten. Prinz Eduard soll, wenn möglich, in ihrer Nähe leben, und sie war bitter enttäuscht, als sie erfuhr, dass sie Prin ... Lady Elisabeth nicht sehen durfte. Sie hofft, eigenen Kindern das Leben zu schenken, und möchte ihre Stiefkinder um sich versammeln. Sie plant, ihr Leben in England zu verbringen. Aus freien Stücken wird sie gewiss nicht gehen, falls es das ist, was Ihr Euch vorstellt.«
Er breitet die Hände aus. »Ich stelle mir gar nichts vor«, lügt er.
Ich warte, dass er mir sagt, was er eigentlich will.
»Und das Mädchen«, setzt er von Neuem an. »Unsere kleine Katherine. Der König hat eine Neigung zu ihr gefasst, nicht wahr?«
»Durchaus«, stimme ich zu. »Und sie weiß ihn so zu nehmen wie eine doppelt so alte Frau. Sie ist sehr geschickt: erscheint völlig lieb und unschuldig und kann sich doch zur Schau stellen wie eine Smithfield-Dirne.«
»Bezaubernd, in der Tat. Besitzt sie irgendwelchen Ehrgeiz?«
»Nein, sie ist nur gierig.«
»Ist ihr noch nie der Gedanke gekommen, dass der König mehr als einmal eine Hofdame seiner Frau geheiratet hat?«
»Sie ist dumm«, gebe ich ihm zu verstehen. »Sehr bewandert in der Kunst des Flirtens, weil dies ihr
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