Das Erbe der Königin - Gregory, P: Erbe der Königin - The Boleyn Inheritance
nicht.
Das bringt mich zum Schweigen. Ich nehme an, dass sie Recht hat. Französisch auszusehen ist das Letzte, was eine Königin von England sich derzeit erlauben darf. Die Franzosen sind das Paradebeispiel für Unanständigkeit und Sittenlosigkeit. Eine ehemalige englische Königin, die in Frankreich aufwuchs und in ihrem ganzen Wesen französisch war und dachte, war meine Cousine Anne Boleyn: Sie war es, die die französische Haube in England einführte und nur abnahm, um ihren Kopf auf den Richtblock zu legen. Königin Jane trug wieder die englische Haube in einem Triumph der Bescheidenheit. Sie ähnelt der deutschen Haube, ist fast ebenso hässlich, aber doch leichter und runder und wird nun von den meisten Damen getragen. Aber von mir nicht! Ich trage eine französische Haube, und ich trage sie so weit zurückgeschoben, wie es geht, und sie steht mir - und sie würde auch dieser Königin stehen.
»Ihr habt die französische Haube beim Turnier getragen, und niemand ist tot umgefallen«, dränge ich sie. »Aber tragt sie doch bitte so! Ihr seid eine Königin. Ihr dürft tun, was Ihr wollt.«
Sie nickt. »Vielleicht«, sagt sie. »Der König, er mag das?«
Nun ja, er mag diese Haube, aber nur, weil ich darunter bin. Er ist so vernarrt in mich, dass er mich wahrscheinlich auch mögen würde, wenn ich eine Narrenkappe trüge und in einem Narrengewand tanzte und dazu eine Schweinsblase mit Schellen schüttelte.
»Er mag sie ganz gern«, sage ich unbekümmert.
»Er mag Königin Jane?«, fragt sie.
»Ja. Er mochte sie. Und sie trug auch eine grässliche Haube, so wie Eure.«
»Er kommt in ihr Bett?«
Oh ihr Heiligen, ich weiß nicht, worauf dies hinaus soll, aber ich wünschte, Lady Rochford wäre hier. »Das weiß ich nicht, ich war damals nicht am Hof«, gestehe ich. »Ehrlich gesagt, ich wohnte bei meiner Großmutter. Ich war ja noch klein. Ihr könntet Lady Rochford fragen oder eine andere ältere Hofdame. Fragt Lady Rochford.«
»Er gibt mir Kuss zu Gutenacht«, sagt sie unvermittelt.
»Das ist nett«, sage ich matt.
»Er gibt mir Kuss am Morgen.«
»Oh.«
»Das alles.«
Ich schaue mich in dem leeren Ankleidezimmer um. Normalerweise sollte sich hier ein halbes Dutzend Mädchen aufhalten, ich weiß auch nicht, wo die alle stecken. Manchmal laufen sie einfach fort, es gibt wirklich niemanden, der so faul ist wie junge Mädchen. Auch ich, zugegeben. Aber jetzt, wo sie mir so peinliche Dinge gesteht, brauchte ich wirklich einmal Hilfe, und nun ist niemand da.
»Oh«, sage ich nur.
»Nur das: Kuss, gute Nacht, und Kuss, guten Morgen.«
Ich nicke. Wo stecken sie nur, diese faulen Frauenzimmer?
»Mehr nicht«, sagt sie, als wäre ich so begriffsstutzig, dass ich die Katastrophe nicht begreife, die sie mir berichtet.
Wieder nicke ich. Ich wünschte bei Gott, dass endlich jemand käme. Selbst Anne Bassett käme mir jetzt gelegen.
»Mehr er kann nicht«, sagt sie unverblümt.
Ich sehe, wie ein dunkles Rot in ihre Wangen steigt; das arme Ding schämt sich in Grund und Boden. Sofort verfliegt mein Unbehagen, und ich fühle nur noch Mitleid mit ihr. Für sie ist es genauso schlimm, mir das zu erzählen, wie für mich, es zu hören. Eigentlich ist es für sie noch schlimmer: Sie muss mir ja anvertrauen, dass ihr Mann sie nicht begehrt und dass sie nicht weiß, was sie deswegen tun soll. Und sie ist eine sehr schüchterne, sehr sittsame Frau - und weiß Gott, das bin ich nicht!
Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Das arme Ding, denke ich. Das arme, arme Ding. Man stelle sich nur vor: ein hässlicher Alter als Ehemann, und er vermag es nicht zu tun. Wäre das nicht einfach widerlich? Zum Glück bin ich frei, meine Liebhaber auszuwählen, und Francis war jung und glatt wie eine Schlange und ließ mich die ganze Nacht nicht in Ruhe, weil er mich so begehrte. Sie aber ist mit diesem kranken alten Mann geschlagen und muss ein Mittel ersinnen, um ihm zu helfen.
»Küsst Ihr ihn?«, frage ich.
»Nein«, erwidert sie schlicht.
»Oder ...« Ich balle meine Hand leicht zur Faust und ahme eine rhythmische Bewegung in Hüfthöhe nach: Sie weiß ganz genau, worauf ich anspiele.
»Nein!«, stößt sie entsetzt hervor. »Gütiger Gott, nein!«
»Nun, Ihr müsst es tun«, sage ich frei heraus. »Und lasst Euch sehen, lasst die Kerzen brennen. Steht aus dem Bett auf und zieht Euch aus.« Mit einer Geste deute ich an, wie sie ihr Nachthemd von den Schultern, über die Brüste gleiten lassen soll. Ich wende mich ab von
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