Das Erbe Der Nibelungen
das Gewirr von Stützpfählen und Seilen drängte. Viele trugen Fackeln, obwohl das Tageslicht noch mehr als ausreichend war.
Schläge, dumpf und drohend. Für einen Moment schien der Horizont zu schwanken, bis Sigfinn merkte, dass es die Burg selbst war. Kleinere Steine rutschten zur Seite weg, fielen den langen Weg zur Burgunder Erde.
Sigfinn hatte eine düstere Ahnung, was vor sich ging, und daher wenig Zeit, sich über seine Lage Gedanken zu machen. Er eilte zu der Tür, durch die er den Thronsaal vor Wochen betreten hatte, um seinen Weg aus der Burg zu suchen. Dabei fiel sein Blick auf Nothung. Das Schwert lag in einem Kreis, der von Schutt gänzlich frei schien, für ihn bereit. Brunhilde hatte es nicht zusammen mit Siegfrieds Leiche in ihre Welt genommen.
Sigfinn packte das Schwert und hatte erstmals das Gefühl, dass es ihm wirklich zustand. Er war nun der Erbe Siegfrieds.
Ächzendes Holz, bröckelnder Stein. Es war nicht mehr viel Zeit!
Der Prinz zerrte die Tür auf, die von Fafnirs Aufprall verzogen war, und zwängte sich durch einen schmalen Spalt in den Gang dahinter. Keine Waffen hingen mehr an den Wänden, keine Insignien von Hagens Macht. Wie es aussah, hatten die Wormser sich geholt, was ihnen gehörte - oder was davon übrig war. Nur in den Thronsaal hatten sie sich nicht getraut. Vielleicht hatte Brunhilde ihn auch mit einem Zauber vor ihnen verborgen. Es war einerlei.
Drei, vier Stufen nahm Sigfinn mit einem Schritt, sich dabei immer wieder an den bebenden Wänden abstützend. Mehr als einmal brachen Brocken aus der Decke, und er fürchtete, von Steinen erschlagen zu werden. Dabei sprang er über die Leichen von unzähligen Horden-Kriegern. Er konnte nur vermuten, dass sie mit dem Tod ihres Herrschers auch das eigene Leben verloren hatten.
Mit einem bösen, singenden Ton rissen die ersten Seile in dem komplexen Spinnennetz, auf dem die Burg gebaut war. Die Spannung auf den Tauen war so immens, dass sie nur auf eine Klinge warteten, um sich zu ergeben. Und heute gab es viele Klingen.
Drei, vier Gänge noch, dann sprang Sigfinn durch das offene Tor, das zu den hölzernen Freitreppen führte. Er duckte sich, als ein Seil mit einem peitschenden Geräusch danach trachtete, ihm den Kopf von den Schultern zu trennen. Nun konnte er auch sehen, was er schon geahnt hatte: das Volk von Burgund hatte genügend Mut zusammengerafft, das Symbol der Macht Hagens, den sie als Hurgan
kannten, zu zerstören. Mit Äxten und Sägen traktierten sie die Stämme, Pechfackeln ließen sie an den Seilen nagen. Viele schwenkten einfach nur zustimmend die Fäuste.
Drachenfels sollte fallen!
Ein verwirrter Pfeil mit brennender Spitze schaffte es gerade noch an Sigfinns linker Schläfe vorbei. Der Prinz suchte nach einer Möglichkeit, über die kokelnden und brechenden Treppen zum Boden zu gelangen, aber das war gar nicht so einfach. Bis auf ungefähr fünfzehn Meter kam er voran, zu hoch noch, um zu springen, ohne sich die Knochen zu brechen. Er ahnte, dass ihm wenig Zeit blieb, bevor die ganze Burg auf seinen Schädel fiel. Was für ein absurdes Ende würde das denn sein?
Vor ihm brachen hölzerne Planken weg und ließen nur Halteseile zurück. Das Geschrei der Menschen wurde ohrenbetäubend, und Brocken fielen nun aus dem Mauerwerk über ihren Köpfen, so groß, dass einzelne Wormser davon erschlagen wurden. Dem Tatendrang der Meute tat es keinen Abbruch. Sigfinn packte mit der rechten Hand das Seil und zog mit der linken Nothung von seiner Schulter. Leicht durchtrennte die Klinge das Tau unter seiner Hand, und er drehte es einige Male um den Arm. Dann drückte er sich ab und schwang in einem weiten Bogen über die Köpfe der Menschen hinweg. Seine Sehnen brannten, die Muskeln in seiner Schulter schrien empört auf. Nur mit Glück verfehlte er einen Stützpfeiler, der mit Pech eingeschmiert in Flammen stand. Danach ging es geradewegs und mit hoher Geschwindigkeit auf die Mauer einer Baracke zu, die vermutlich härter als sein Schädel war.
Sigfinn ließ sich fallen.
Mit dem Schwung des Seils stürzte er nicht in die Menschenmenge, sondern segelte in sie hinein wie eine etwas
unbegabte Ente bei der Landung. Er riss bestimmt eine Handvoll Wormser um und konnte kaum bezweifeln, dass er dabei einige ihm nicht feindlich gesinnte Knochen brach.
Auf hartem Pflaster rollte er aus, geprellt und aufgeschürft an vielen Stellen, aber mit klarem Geist und ungebrochenem Willen. Er rappelte sich auf. Die Menge, in die er so
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