Das Erbe Der Nibelungen
kaum hatten führen müssen, saßen mit Wein und Käse auf den Trümmern von Drachenfels, als Zeichen, auch die Erinnerung an Hurgan nicht zu fürchten. Maiwolf, Glismoda, Brynja, Fynna, Rahel, Sigfinn und viele der heimlichen Verwalter des alten und neuen Worms versammelten sich in alter und neuer Freundschaft.
Sigfinn war überrascht, als er zu später Stunde Brynja abseits sitzend fand, die Tochter auf dem Schoß und mit verweinten Augen. »Was ist mit dir? Dies ist doch kein Tag für Tränen.«
Sie sah ihn an und weinte noch mehr. »Ich will heim. In unsere Zeit, in unsere Welt. Je mehr dieses Worms mir ans Herz wächst, je mehr die Liebe für meine Tochter blüht, desto mehr entgleitet mir das Leben, das ich kannte. Und das will ich nicht hinnehmen. Kannst du das verstehen?«
Sigfinn nahm sie in den Arm. Er verstand nur zu gut. Schließlich hatte er sich dieselben Fragen gestellt. Das schwarze Jahrhundert hatte ihn schneller zu einem Mann gemacht, als gut für ihn war, und er spürte in sich immer noch die Sehnsucht nach unschuldiger Zeit, nach seinen Eltern, nach dem Hof Islands. Nach einem Neuanfang mit Brynja in unschuldiger Liebe.
»Es liegt an euch«, sagte die Seherin, von der niemand gemerkt hatte, dass sie plötzlich auf einem geborstenen Quader schräg über ihnen auf den Trümmern saß. »Findet das dritte Teil des Amuletts, schmiedet es und kehrt zurück.«
»Calder«, sagte Brynja. Maiwolf hatte ihr berichtet, dass er verschwunden war, mit der schlanken Frau an seiner Seite.
»… ist verloren«, antwortete Brunhilde. »Zu schwarz ist seine Seele, zu befleckt sein Herz. Er gehört diesem Reich, nicht mehr eurem.«
»Wo finden wir ihn?«, fragte Sigfinn.
»Der letzte Kampf findet dort statt, wo er begonnen hat«, erklärte die Seherin. »Ihr wisst es schon.«
Sigfinn und Brynja sahen einander an und brauchten es nicht einmal auszusprechen.
Island.
15
Entscheidung in Island
Brynja selbst überwachte die Verteilung von Brot und Pökelfleisch, das ihre Soldaten mitgebracht hatten, an die Wormser Bevölkerung. Es war nicht genug für alle, doch es würde Linderung schaffen, bis die eigenen Felder wieder zur Ernte bereit waren und die Fischer im Rhein ihre Netze auswerfen konnten. Maiwolf berichtete ihr, dass ein regelrechter Kampf um die Gunst der Männer von Wenden ausgebrochen war - Väter und Gatten brauchte die Stadt ebenso nötig wie Nahrung. Nach Rücksprache mit ihren Generälen entschied sie, die Provinz Wenden zum Reich zu öffnen und jedem Bürger freizustellen, sich ein neues Heim zu suchen. Sicher würde die Möglichkeit, in Worms frei und neu anzufangen, viele geschickte Hände aus dem Umland anziehen.
Glismoda brachte Brynja einen Krug Wasser, aus dem sie dankbar trank. »Du musst mir nicht dienen, Glismoda.«
»Ich betrachte es nicht als Dienst, sondern als den geringsten Dank, den ich aufbringen kann«, antwortete die nun freie Bürgerin.
»Das macht es mir leicht, dich um eine weitere Gefälligkeit
zu bitten - eine weitaus größere«, sagte die Fürstin, und Glismoda sah, dass ihr dabei das Herz schwer wurde.
»Worum immer Ihr mich bittet, will ich tun.«
Brynja atmete tief durch und hoffte, der kühle Wind würde ihre Tränen trocknen, bevor sie ihre Wangen erreichten. »Ich reise ab. Schon bald. Es gibt etwas zu tun, das getan werden muss. Und ich kann mein Kind der Gefahr nicht aussetzen.«
Glismoda wusste, worum Brynja bat - und wusste um das Herz, das ihr dabei brach. Sie nickte. »Wie mein eigenes Kind werde ich die kleine Fynna hüten, Fürstin. Bei Eurer Rückkehr wird sie Euch in Liebe erwarten.«
Einen Moment lang erwog Brynja, Glismoda die Wahrheit zu sagen. Dass sie im Falle einer Niederlage vermutlich tot sein würde - und im Falle eines Triumphs in einer anderen Zeit, einer anderen Welt. So oder so: Fynna würde ohne ihre leibliche Mutter aufwachsen. Aber sie brachte es nicht über sich, die Worte auszusprechen.
Sigfinn und Maiwolf kamen hinzu. Der Waffenmeister stockte kurz, als er die traurigen Augen seiner Herrin sah. »Eure Hoheit, das Schiff ist für Euch bereit. Sechs der besten Soldaten werden Euch begleiten so weit Ihr es verlangt - und sei es bis ans Ende dieser Welt.«
»Ich könnte alleine ziehen«, bot Sigfinn an. »Und wenn ich habe, was wir brauchen, kehre ich zurück.«
Brynja schüttelte tapfer den Kopf. »Wir wurden schon einmal getrennt. Nie mehr.«
Gemeinsam gingen sie zum Steg, an dem eines der schnittigen Boote lag, mit denen
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