Das Erbe Der Nibelungen
sowieso. Sie können nicht helfen oder wollen nicht. Es liegt nun an uns.«
Es war ein Eingeständnis von Hilflosigkeit, das er von ihr nicht erwartet hatte. »Sollen wir fliehen? Sigfinns Angebot auf freies Geleit annehmen? Wir könnten gen Osten reiten und dort mit Steppenvölkern ziehen. Es ist kein leichtes Leben, aber …«
»Eher ziehe ich mir einen Dolch von einem Ohr zum anderen«, zischte Elsa. »Ich bin zur Königin geboren, und lieber sterbe ich hier auf dem Thron, als mich mit Hunnen im Dreck zu wälzen!«
Das war wieder die Elsa, die Calder kannte.
»Ich könnte Sigfinn fordern«, murmelte er. »Ohne Soldaten, zum fairen Zweikampf. Mit dem Schwert ist er mir allemal unterlegen.«
»Käme Brynja in meine Hände, ich würde ihr das alberne Herz aus der Brust reißen, bevor sie auch nur einen Finger an meine Haare legen könnte«, stimmte Elsa zu.
»Ich bin so dankbar, dass ihr diese Worte sprecht«, sagte Brunhilde. Calder und Elsa fanden sie entspannt auf dem Bett hinter sich sitzend, den alten Rücken an den kühlen Fels gelehnt. Sie lächelte sogar.
»Es ist nicht dein Kampf«, bellte Calder sichtlich überrascht. »Wir verlangen nicht mehr als eine gerechte Chance.«
»Die ihr selbst nie zu geben bereit wärt«, hielt Brunhilde dagegen. »Und dennoch - sie sei euch gewährt. Mein Pakt mit Odin ist dieser: ich darf mich nicht einmischen, nichts
in die Wege leiten, was die Figuren dieses längst verlorenen Spiels aus freien Stücken nicht zu tun bereit wären. Aber da ihr selbst Zweikämpfe gefordert habt, hält mich nichts davon ab, sie euch zu geben. Die Zeit für Tricksereien ist vorbei - der Rest wird von blankem Eisen entschieden.«
Calder sah, wie Elsas Gestalt verschwamm, wie ihr Kleid von einem unsichtbaren Wind verweht wurde und sie schließlich mit einem Blick der Angst nach ihm griff, doch ihre Hand keinen Widerstand mehr fand. Wie das Bild in einer Wasseroberfläche, die von einem Stein gebrochen wird, löste sie sich auf und ließ Calder allein zurück.
»Ihr hättet darum bitten sollen, euch voneinander verabschieden zu dürfen«, sagte Brunhilde kalt. »Ich zweifle, dass das Schicksal euch ein Wiedersehen zugesteht.«
Heiße Wut erfasste Calder, und er riss sein Schwert aus der Wandhalterung. »Ich bin kein Spielzeug der Götter!«
Brunhilde lachte tatsächlich. »Du warst nie etwas anderes. Spielzeug der Götter, Elsas geiler Tor - und nun Sigfinns letzter Gegner.«
Wuchtig stieß Calder das Schwert nach Brunhildes Brust, doch sie sank in die Schatten, bevor er sie treffen konnte. Die Klinge klirrte hässlich auf Stein, und Funken sprühten.
»Schone deine Kräfte, Calder«, hörte er den Wind singen.
Sigfinn sorgte sich um Brynja. Wohin war sie verschwunden? Wessen Zauber war hier am Werk? Doch es half ihm nicht, trübe Gedanken zu wälzen, und er entschied sich, dem eigentlichen Plan zu folgen und über den Geheimgang in die Burg zu schleichen, den er schon als Kind entdeckt
hatte. Brynja würde sich zu helfen wissen - was hatte er in den letzten Tagen gelernt, wenn nicht das?
Auf der Rückseite schlich er aus dem kleinen Haus und schaffte es zum Hafen, ohne dass man ihn in der Dunkelheit ausmachen konnte. Es half, dass er die Insel von Kindesbeinen an kannte. Ein winziges Boot dümpelte am Ufer, kaum groß genug, um auch nur einen Mann zu tragen. Sigfinn watete ins kalte Hafenwasser, schob es leise vor sich her, den Kopf niedrig genug, dass er nicht gesehen wurde. Für jeden Beobachter schien es, als habe sich das Boot gelöst und treibe nun aufs Meer hinaus. Erst als Sigfinn sicher sein konnte, dass niemand ihn erspähte, hievte er seinen durchnässten Körper über die Bordwand und ergriff die hölzernen Ruder.
Es dauerte zwei Stunden, überhaupt aus dem Hafenbecken zu kommen, und dann noch einmal zwei, nach Osten an der Steilküste entlangzurudern. Die starken Strömungen machten mit dem Boot, was sie wollten, und manchmal schien es Sigfinn, als käme er gar nicht voran. Doch endlich kamen die Felsen in Sicht, an denen sich das Meer brach und die er im hellen Mondlicht deutlich erkannte. Eine Spitze erinnerte an einen Finger, der mahnend gen Himmel zeigte, und dort ließ Sigfinn sein Boot auf Stein laufen. Es gab keinen Grund, es zu vertäuen oder für eine Rückreise zu sichern. So oder so - diesen Weg würde er nur einmal nehmen.
Hinter der auffälligen Spitze, vom Meer her nicht zu sehen, öffnete sich der Fels, und ein schmaler Spalt führte direkt in den
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