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Das Erbe Der Nibelungen

Titel: Das Erbe Der Nibelungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein , Torsten Dewi
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könne er Trost spenden. Und er erinnerte Sigfinn an seine Mutter. Mit schnellen Schritten lief er zur Treppe, die in den Gang führte, der nach drei Ecken in dem Flügel endete, in dem König und Königin lebten. Doch so, wie sein eigener Raum verlassen und feindlich gewesen war, fand er auch die Räume seiner Eltern leer vor und seltsam verwandelt: was die Gemächer früher schmückte, war verschwunden. Der Fels, dem die Räume mühsam abgerungen worden waren, wirkte grober noch und ungeschlacht, als hätten die Steinmetze der letzten Jahre ihr Handwerk nicht gut verstanden.
    Zur Angst kam nun eine Lähmung, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Kein Hofstaat mehr, keine Soldaten, keine Eltern.
    Er war allein.
    Zum ersten Mal in seinem Leben.

    Die Seherin saß in dem Zimmer, von dem sie wusste, dass Sigfinn es nicht finden würde. Ihre Hände malten Zeichen in den Sand, der den Boden wie ein raues Laken bedeckte.
    Es war geschehen. Sie hatte es nicht verhindern können und auch niemals geglaubt, es verhindern zu können.
    Die Welt war über Nacht vermodert, verdorrt, verdorben. Die Sonne ging nur noch halbherzig auf, und jede Hoffnung war aus den Seelen der Menschen verbannt. Was gut und schön war, musste sich verstecken, fand keinen Platz mehr im neuen Reich der alten Götter, die nun wieder mit eiserner Faust regierten und den Nibelungen als ihren Vasallen grausig freie Hand ließen.
    Eine Zeit ohne Helden, eine Gegenwart ohne Zukunft. Die Saat war aufgegangen, und faule Frucht trug sie nun.
    Die Seherin ballte die Hände zur Faust, wie sie es seit Jahrzehnten nicht mehr vermocht hatte. In ihrem Rücken spannten sich Muskeln, die sie längst verkümmert wähnte, und kräftige Lungen atmeten tief und ruhig. Der Plan der Nibelungen hatte ihr Kraft gegeben. Es war eine der unerwarteten Konsequenzen ihres Plans.
    Und da war noch mehr. Sie konnte es spüren. Das Licht in der Welt war nicht gänzlich erloschen. Mochte auch die Finsternis regieren, so blieb ein Funke.
    Das Blut Siegfrieds war noch da.
    Die Seherin lächelte.
    Es war nicht alles verloren. Nicht, solange das, was sein sollte, Widerstand leisten konnte.
    Ein Licht. Ein letztes Licht.
    Nein.
    Noch ein Licht. Da waren zwei Lichter.
    Wie konnte das sein?
    Drei.

    Drei Lichter. Dreimal Wahrheit.
    Die Seherin begann zu zittern.
    Der Kampf war noch lange nicht verloren. Was die Nibelungen als Ende vorgesehen hatten, konnte wieder ein Anfang sein.
     
    Es war eher ein Nachgedanke, ein letzter Hoffnungsschimmer, der Sigfinn dazu verleitete, die tote Burg nicht sofort zu verlassen, um anderswo nach Menschen zu suchen. Er hatte zwei gute Stunden damit verbracht, sich ein Bild von seiner misslichen Lage zu machen, und nun war es auch schon egal, ob er seine Schritte noch zu Brynjas Zimmer lenkte. Sie würde nicht da sein, wie alle anderen, aber wenigstens hatte er dann einen Zweifel weniger.
    Auch vor ihrer Tür hätte eine Wache stehen sollen, die nun nirgendwo zu sehen war. Die Tür selbst war aus den Angeln gerissen und faulte zersplittert im Gang vor sich hin. Wenn das von einem Kampf rührte, dann war er Jahrzehnte her.
    Sigfinn konnte schon vom Türrahmen aus sehen, dass Brynjas Lager verlassen war. Es schmerzte ihn mehr, als er zugeben wollte. In diesem Moment hätte er alles gegeben, ihre schlanke Gestalt friedlich schlafend vorzufinden.
    Die Klinge, die aus dem toten Winkel neben dem Eingang kam, konnte er nicht kommen sehen. Ihr leises Pfeifen war zu kurz, um sich rechtzeitig wegzuducken.
    Zitternd blieb das schmale Schwert an seiner Gurgel, ritzte die Haut - wer immer die Waffe führte, hatte sich soeben entschieden, den Prinzen nicht zu enthaupten. Noch nicht?
    Sigfinn hielt den Atem an. In der Überzeugung, allein zu sein, war er unvorsichtig geworden. Das war nun der Preis.
    Die Person, die das Schwert hielt, trat aus dem Schatten.

    Es war Brynja.
    Sigfinn sah sie an, unfähig, seiner Freude und Erleichterung Ausdruck zu verleihen. Er war nicht mehr allein! Der Mensch, den er wie keinen zweiten an seiner Seite wünschte, hatte sich nicht mit dem Rest des Hofstaats aufgelöst.
    »Sigfinn«, flüsterte Brynja, ließ das Schwert sinken und kippte nach vorne um, so dass Sigfinn sie gerade noch auffangen konnte. Er drückte sie an sich, während sie gegen die Ohnmacht kämpfte. »Es ist … niemand da … ich dachte, du … du …«
    »Ich weiß«, flüsterte Sigfinn. »Wir scheinen die letzten beiden Seelen in der Burg zu sein.«
    Langsam kam Brynja wieder

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