Das Erbe Der Nibelungen
einer einzigen Stimme. »DRACHENTÖTER!«
Und ihre Hoffnung flog hinauf zu Siegfried, der vergaß, um sein Leben zu bangen, und der im Todeskampf mit einer Bestie wieder zu sich selber fand. Die Jahre fielen von ihm ab, und er schrie mit jedem Hieb, den er Fafnir versetzte. Und so sehr der Drache sich auch schüttelte, so sehr er den Hals verrenkte, um den Krieger zu rösten, so sinnlos war sein Wehren doch.
Am Himmel über Worms gewann Siegfried von Xanten den Kampf, den er vor hundert Jahren im Wald der Nibelungen verloren hatte. Und als Fafnirs Flügelschläge schwächer wurden, schlang er seinen linken Arm unter dessen Hals, legte mit dem rechten die Spitze Nothungs zwischen dessen Augen und zerrte so lange am Schädel des Drachen, bis dieser sich von ihm die Richtung befehlen ließ.
Zum ersten und zum letzten Mal ritt ein Mann den Drachen im Fluge - direkt in sein Schicksal.
Angewidert warf Hagen das auslaufende Auge beiseite und stieß beide Fäuste gegen Sigfinns Brust, so dass dieser nach hinten fiel. »Du Narr! Dies ist mein Reich! Was hast du hier verloren?«
Sigfinn strampelte liegend rückwärts, vorsichtig, um nicht wieder gegen eine der eisernen Spitzen an der Wand zu stoßen. »Nichts habe ich hier verloren! Niemand hat hier etwas verloren! Diese Welt ist ein Trugbild, seit du vor hundert Jahren Siegfried um seinen Sieg gebracht hast!«
»So war es bestimmt!«, schrie Hagen und zog aus dem Gürtel eine schmale, lange Klinge. »Meine Herrschaft dauert hundert Jahre - wie lange hätte Siegfrieds gedauert? Keine hundert Tage! Wo Chaos war, gab ich Ordnung!«
Fafnir glitt so nah am Thronsaal vorbei, dass ein mächtiger Wind durch den Raum fegte. Kurz sah Sigfinn Nothung aufblitzen, und schwere Tropfen dunkelroten Blutes spritzten herein.
»Wo Frieden war, gabst du Tyrannei!«, hielt der Prinz seinem Widersacher vor. Er hob seinen Dolch, doch es fiel Hagen leicht, ihn mit einem schweren Stiefel beiseitezutreten.
»Frieden?«, höhnte er. »Es ist niemals Frieden! Frieden ist die Zeit, wenn der Krieg durchatmet und neue Kräfte sammelt. Frieden verschimmelt wie Brot im feuchten Keller - Krieg ist ewig!«
Fafnir brüllte erneut, und es klang Schmerz darin.
Sigfinn rappelte sich auf die Füße. »Genug geredet - diese Geschichte endet heute Nacht.«
Hagen sammelte alle von den Nibelungen verliehenen Kräfte, die ihm noch geblieben waren. Zwischen sich und Sigfinn baute er einen flirrenden Schild auf, Millionen kleiner Flammen schützten ihn wie ein unüberwindbarer Wall, grell und heiß.
»Noch ist meine Macht nicht am Ende!«, schrie er, doch er spürte auch, wie die Zauberei an seinen Kräften zehrte.
Sigfinn spürte keine Hitze, fühlte kein Haar an seinem
Körper kokeln. Mutig trat er ins Feuer und blieb unverletzt.
»Deine Macht gilt nur für diese Welt - und damit nicht für mich! Du hättest es wissen können, als dein Drache vor uns zurückwich!«, rief er, während der Spuk aus Hagens Hand in sich zusammenfiel.
»Elea!«, schrie Hagen. »Gadaric! Horden! Ihr Nibelungen, steht mir bei!«
»Sie haben dich verlassen, Hagen! Niemand respektiert mehr deine Macht!« Der alternde Herrscher drehte sich von Sigfinn weg, dem Balkon zu - und sah, wie der Drache in furchtbarer Geschwindigkeit näher kam! Von Siegfried gewürgt, kam keine Flamme mehr aus seinem Maul, und in seinem Schmerz und seiner Wut merkte er nicht, dass steinerne Mauern seine Flugbahn kreuzten.
Es war ein Moment, den die Götter für Sigfinn verlangsamten, damit er ihn in seiner vollen Pracht genießen konnte. Fafnir, kaum fünfzig Meter vom Balkon der Burg entfernt, riss wieder den Rachen auf, presste die Kiefer auseinander und drückte sein Feuer aus den Lungen in den Schlund. Siegfried wartete mit Nothung in der Hand auf diesen Augenblick, und als er Sigfinn im Thronsaal stehen sah, schien er einen Herzschlag lang zu lächeln.
Dann ließ er den Hals des Drachen los und entfesselte Fafnirs gestaute Flammen!
Die Wucht des Drachenatems war so gewaltig, dass Hagen von den Füßen gerissen und quer durch den Saal geschleudert wurde. Sigfinn stieß sich in letzter Sekunde vom Boden ab und schlitterte ächzend hinter den Thron, der gleichermaßen vom Feuer umgeworfen wurde. Nur das kaum kniehohe Podest schützte den Prinzen von Island, der heiße Luft seinen Nacken verbrennen spürte.
Der Thronsaal wurde zum steinernen Ofen, sauber ausgebrannt und rußschwarz.
Doch nur für eine Sekunde, vielleicht zwei. Siegfried
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