Das Erbe Der Nibelungen
hatte den Moment genau berechnet, und als Fafnirs Flammenatem versiegte, rammte er dem Untier Nothung von der Stirn zwischen die Augen. Der Drache hatte gerade genug Zeit, um zu sterben, bevor sein massiger Leib über den Balkon in den Thronsaal von Burg Drachenfels prallte. Er riss Mauerwerk mit sich, die Balkonbrüstung, die schweren Doppeltüren. Ein Flügel wurde von der Außenwand festgehalten und abgerissen. Trümmer regneten in den Saal, rissen den Boden auf, schlugen Löcher in die Wände. Bruchstücke prasselten auf Sigfinn hinunter, Wolken aus Staub drängten sich in seine malträtierten Lungen.
Dann stieß Fafnirs Haupt gegen den Prinzen und schob ihn rüde durch den Schutt. Mit geschlossenen Augen strampelte Sigfinn, um nicht doch noch zwischen den Kiefern der Bestie zu landen. Scharfe Bruchsteine rissen seine Kleidung auf und schürften seine Haut. Unter dem linken Fuß spürte er die heiße Glätte der fast armdicken Hauer in Fafnirs Maul.
Dann lang der Drache still.
Schließlich, endlich war Ruhe.
Der Staub senkte sich wie frisch fallender Schnee im Winter, und ein paar letzte Kiesel suchten sich knirschend ihren Platz am Boden. Eine angenehme Brise fachte kleinere Feuer an, wo Fackeln das Holz des zerborstenen Thrones fanden.
Totenruhe.
Sigfinn wagte kaum zu atmen. Aber das Kratzen in seiner Kehle verlangte sein Recht, und er begann zu husten, Blut und Schmutz. Sein Verstand fing an, die gebrochenen
Knochen zu zählen, aber es waren nur kleinere - Finger, Rippen, die Schulter. Er kam schwankend auf die Beine und musste sich erst den Staub aus dem Gesicht wischen, bevor er etwas sehen konnte.
Die Faust der Götter hatte Hagens Thronsaal mit Wucht zertrümmert. Kein Stein lag mehr auf dem anderen, und hässliche Brocken Fleisch, aus dem Leib des Drachen gerissen, zierten die Ruine. Das Untier sah im Tode seltsam verzerrt aus, als habe der Aufschlag seine Knochen und Organe unter der Haut neu geordnet. Die fleischige Zunge hing aus dem Maul, dunkelgrün und feucht glänzend.
Sigfinn sah sich um, suchte nach Siegfried und fand ihn rücklings über die Kante eines Steinquaders gedrückt. An seinem Oberschenkel hatte sich ein gebrochener Knochen durch das Fleisch gebohrt, und knapp unter dem Brustkorb steckte eine Schuppe des Drachen, scharf wie die Klinge einer Lanze, in seinen Eingeweiden. Er hatte den Aufprall kaum besser überstanden als Fafnir.
Doch er lebte.
Sigfinn beugte sich über ihn und zerrte den fast regungslosen Körper in eine etwas bequemere Lage.
»Hast … du es gehört?«, keuchte Siegfried. »Hast du … gehört, was sie gerufen haben?«
Sigfinn wusste nicht, wovon Siegfried sprach, nickte aber dennoch.
»Drachentöter!«, hustete Siegfried mit Blut. »Ich … bin …«
»Siegfried der Drachentöter«, sagte Sigfinn leise.
Die rechte Hand des Erben von Xanten öffnete und schloss sich einige Male, als würde ihr etwas fehlen. Sigfinn verstand und machte sich auf die Suche nach Nothung. Er fand es immer noch eingebettet zwischen den Augen in
Fafnirs Schädel, also stellte er den Fuß in ein Nasenloch des Drachen und zerrte die Klinge mit großer Mühe heraus. Dann brachte er das Schwert seinem Vorfahren, den kennenzulernen er die Ehre gehabt hatte, und legte ihm Nothung in die Hand.
»Nun wird … sie … die Prinzessin«, presste Siegfried hervor. »Kriemhild …«
Es waren letzte Worte, Gedankenfetzen, flüchtige Erinnerungen an Zeiten ohne Sorge und Schmerz.
Das gehässige Lachen war so leise und brüchig, dass Sigfinn es zuerst nicht hörte. Doch es war da. Jemand freute sich am Leid des Drachentöters.
»Was für ein Schauspiel!«, krächzte dieser Jemand mit etwas, das entfernt an die Stimme von Hagen erinnerte.
Der Prinz von Island stand auf und suchte in dem Schutt herum, woher das Hohngelächter kam. Er fand den Tyrannen, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und vom Flammenatem in der Körpermitte auf eine Metallspitze geschleudert.
Auch er war nicht bereit, vom Leben zu lassen.
»Ist es nicht genug?«, fragte Sigfinn. »Endlich genug?«
Hagen sah ihn aus seltsam weißen Augen in einem schwarz gerösteten Gesicht an. »Ich wurde nicht hundert Jahre alt, um mich so leicht dem Tod an die Brust zu werfen.«
»Dann werde ich dich in Streifen schneiden und den Hunden zum Fraß vorwerfen«, sagte der Prinz, und er meinte es so grausam, wie es klang.
»Hatte ich es dir nicht gesagt? Siegfrieds Triumphe dauern niemals an. Sein Heldentum liegt in seinem frühen Tod.
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