Das Erbe der Phaetonen
die Lage unverändert. Der ohren- betäubende Lärm, das Rauschen des Wasserfalls und des Re- gens, die in der Nahe grellen, jenseits der Wasserwand aber trüben Blitze – all das hatten sie schon viele Male gesehen, und es nötigte ihnen keine besondere Achtung mehr ab. Sie warteten ungeduldig auf das Ende und waren überzeugt, das Gewitter werde ebenso überraschend abziehen, wie es sie überfallen hatte. So war es bisher immer gewesen, an ein solches Finale waren sie gewöhnt, und so würde es auch diesmal kommen.
Die Venus hatte es sich aber anscheinend in den Kopf gesetzt, ihnen eine neue Überraschung zu bereiten, ihnen ein übriges Mal zu beweisen, daß sie vieles zu bieten hatte, was den Men- schen der Erde noch nie begegnet war.
Belopolski und Balandin beobachteten staunend, daß der Regen diesmal abflaute – im allgemeinen endete er plötzlich.
Sie erlebten ein Gewitter ganz anderer Art. Es jagte nicht ungestüm über sie hinweg, sondern hielt sich lange, wurde aber immer schwächer. Seltener und leiser polterte der Donner, seltener und matter zuckten die Blitze. Die Finsternis wich einem trüben Dämmerschein. Unvermittelt lief das Wasser vom Ufer ab und befreite das Seegras. Minuten vergingen, und die Män- ner stellten verdutzt fest, daß sie nichts weiter als einen ganz gewöhnlichen Wolkenbruch erlebt hatten, wie sie ihn von der Erde her kannten. Eine Zauberkraft schien sie blitzschnell von der Venus in die Heimat versetzt zu haben.
Es wurde so hell, daß sie das Ufer des Sees, auf dessen Ober- fläche in dichter Folge winzige Fontänen emporschossen, über- schauen konnten.
„Genießen Sie das Erlebnis in vollen Zügen!“ sagte Belopol- ski. „Die Überraschungen nehmen kein Ende.“
„Ich hätte nie gedacht, daß wir auf der Venus einen gewöhn- lichen Regen erleben würden.“
„Wenn das Gewitter auch vorüber ist, bedeutet das für uns noch keine Erleichterung.“ Belopolski wies nach hinten auf den Wald.
Der Wasserfall, der von den Wipfeln herabstürzte, hörte nicht auf. Er war bloß nicht mehr so ungestüm und stürmisch. Zwischen dem Geländewagen und dem Wald hing ein durch- sichtiger Wasservorhang, durch den verschwommen Bäume und Sträucher zu erkennen waren. So dünn diese Sperre indes auch sein mochte, der schmale Zugang zu dem Waldweg blieb den- noch unsichtbar.
„Wir müssen versuchen, ihn zu finden“, sagte Belopolski. „Dieser Regen kann Stunden dauern.“
Energisch ergriff er die Steuerhebel. Er langte nach dem Star- terknopf und – erstarrte, die Augen betroffen auf den dunst- verhangenen See gerichtet.
Augenblicklich vergaß auch Balandin seine quälenden Schmer- zen im Bein und beugte sich mit dem ganzen Oberkörper weit vor – dicht am Ufer bewegte sich etwas Dunkles im Wasser, dann erhob es sich und kam heraus.
Durch das dichte Netz der Regenfäden sahen die Männer die verschwommene Silhouette eines riesenhaften formlosen Kör- pers. Er schien über drei Meter groß zu sein. Das gespenstische Halbdunkel machte es unmöglich, Genaueres zu erkennen.
Der Professor wollte schon die Hand ausstrecken, um den Scheinwerfer einzuschalten, aber Belopolski hielt seine Hand fest.
„Das erübrigt sich!“ flüsterte er. „Erschrecken Sie ihn nicht! Das sind sie!“
Atemlos vor Erregung sahen die Astronauten, wie dem ersten Venusbewohner ein zweiter folgte. Dann stiegen nacheinander noch drei weitere aus dem Wasser.
Fünf nebelhafte Gestalten trotteten auf das Fahrzeug zu.
„Sie sehen uns“, stieß Balandin mit erstickter Stimme hervor.
„Natürlich sehen sie uns“, gab Belopolski sonderbar ruhig zur Antwort.
Drei Schritte trennten die Venusbewohner von den Menschen. Nun waren deutlich die dicken Beine, der mächtige ellipsoide Leib und der dreieckige Kopf des ersten dieser Geschöpfe zu er- kennen. Die übrigen vier gingen um den Wagen herum, sie wollten ihn offenbar von allen Seiten umstellen.
Was dachten sie von diesem Fahrzeug? Wofür hielten sie es?
Die langsamen Bewegungen der Kolosse wirkten auf die beiden Menschen wie eine Drohung. Es gab nur noch eins: flie- hen, nichts als fliehen!
Alles geschah in Sekundenschnelle.
Belopolski erwachte aus seiner Erstarrung und griff nach den Bedienungshebeln. Aber es war schon zu spät. Die Venusianer stürzten sich auf den Geländewagen.
Er wurde mit einem
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