Das Erbe der Phaetonen
Inzwischen überlegen wir“, ließ sich Belo- polski vernehmen.
Wtorow hörte, wie die Besatzungsmitglieder ihre Ansichten austauschten. Auch Melnikow und Knjasew beteiligten sich an der Diskussion.
„Welche Stellung nimmt der mittlere Vorsprung ein?“ fragte Saizew.
„Er bildet ein regelmäßiges Fünfeck.“
„Ich meine, welche Stellung er zum Fünfeck der Tür ein- nimmt?“
„Moment mal!“ rief Wtorow. „Ja, tatsächlich!“ fuhr er fort, nachdem er die feine Linie oberhalb seines Kopfes eingehend betrachtet hatte. „Sie sind unsymmetrisch zueinander angeord- net.“
„Versuchen Sie mal, sie in symmetrische Stellung zueinander zu bringen.“
Es erwies sich, daß man den mittleren Vorsprung um einhun- dertachtzig Grad drehen konnte.
Kaum hatte das seltsame Fünfeck die gleiche Stellung eingenommen wie das große, ertönte ein leises Geräusch, als sei etwas Metallenes heruntergefallen. Wtorow sprang zurück.
Doch nichts weiter geschah. Die Tür blieb nach wie vor ge- schlossen.
Mit starkem Herzklopfen streckte der Ingenieur die Hände nach den Quadraten aus. Irgendwie war er überzeugt, daß er diesmal Erfolg haben würde. Das metallische Geräusch bewies doch, daß der Mechanismus funktionierte.
Mit aller Kraft drückte er gegen die beiden Vorsprünge.
Über ihm blitzte etwas auf. Instinktiv duckte er sich.
Stille.
Er hob den Kopf.
Die Tür war verschwunden!
An Stelle des metallenen Fünfecks erblickte er etwas Blaß- blaues, das durchsichtig zu sein schien. Als habe eine Gazehaut das Metall ersetzt.
Melnikow, Knjasew und alle andren im Raumschiff hörten Wtorow schreien, voller Verzweiflung, wie es ihnen schien: „Licht! Licht!“
Jetzt sah er es! Sah es ganz deutlich!
Das Etwas war keine blaue Gazehaut! Vor ihm befand sich eine fünfeckige Öffnung, durch die von irgendwoher aus dem Innern des Raumschiffes gedämpftes Licht drang. Ein Zweifel war ausgeschlossen: es handelte sich um Licht. Sein matter Schein ruhte auf den Stämmen der Bäume und auf der metalle- nen Oberfläche der Röhre.
Licht! Wie war das möglich? Konnte denn eine wie auch immer geartete künstliche Lichtquelle Jahrtausende überdauern?
Wtorow stand erstarrt, ohne auf die Fragen der Kameraden zu antworten, die wie ein Hagel auf ihn niederprasselten.
Er kam erst zu sich, als sich ihm eine Hand auf die Schulter legte. Es war Melnikow, der zu ihm getreten war.
Wie fasziniert starrte auch Melnikow auf das geheimnisvolle, unbegreifliche Licht und drückte Wtorows Schulter immer stär- ker.
„Was ist das?“ flüsterte er. „Wo kommt das her?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Wtorow mechanisch.
„Wissen Sie es wirklich nicht?“ ließ sich Paitschadses spöt- tische Stimme vernehmen. „Dann sagen Sie wenigstens, was Sie sehen.“
„Licht!“
„Na und?“
Melnikow holte tief Luft und berichtete von der rätselhaften Erscheinung. Lange kam keine Antwort. Schließlich hörten sie Belopolski sagen: „Es besteht kein Zweifel, daß ...“
Und wieder Schweigen.
„Nun, die Tür ist offen“, sagte Melnikow. „Also hinein!“
Auf alles wären sie bei diesem längst ausgestorbenen Raum- schiff von einem unbekannten Planeten gefaßt gewesen, selbst auf das Unwahrscheinlichste und Überraschendste, nur nicht auf Licht, den Begleiter des Lebens! Das grenzte an ein Wun- der!
„Also hinein“, wiederholte Melnikow, doch fehlte seiner Stimme die gewohnte Entschlossenheit.
Schweigend setzte Wtorow die Leiter an.
Er sah, daß Melnikow – ein Urbild von Kaltblütigkeit, Mut und Willensstärke und nach allgemeiner Ansicht ein Mann ohne Nerven – unschlüssig war und es nicht über sich zu bringen schien, den Fuß auf die unterste Sprosse zu setzen. Und ganz plötzlich wurde sich der junge Ingenieur bewußt, daß keine Macht der Welt ihn selber zwingen könnte, als erster die Leiter hinaufzusteigen.
Kein lebendiges Wesen, sei es auch die scheußlichste Aus- geburt der Phantasie, hätte ihn abgeschreckt. Dieses „über- natürliche“ Licht jedoch raubte ihm die Willenskraft, unüber- windliche Furcht lähmte sein Hirn.
Eine Minute verrann.
„Also hinein!“ sagte Melnikow zum drittenmal und kletterte rasch die Leiter hinauf.
Gebeugt verschwand er in der Türöffnung. Gleich darauf er-
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