Das Erbe der Pilgerin
eher unwillig.
»Er wird das Consolamentum nehmen«, sagte der Mann schließlich streng. »Damit schwört er fleischlichen Freuden auf immer ab. Und Ihr, Fräulein, gehört doch wohl sicher zu den verbotenen Früchten, die sein bisheriges Leben mit Sünde erfüllten.«
Sophia blitzte ihn an. »Wir haben nie etwas Verbotenes getan!«, erklärte sie. »Und ich bin … ich bin ihm versprochen …«
»Auch das ist Sünde. Wäre die Welt vollkommen, so ließen wir davon ab, uns zu paaren und Nachkommen zu zeugen. Jedes neue Wesen trägt schließlich wieder eine unerlöste Seele in sich.«
Sophia sah den Diakon ungläubig an. Sie hatte Genevièves Ausführungen über ihren Glauben immer nur mit halbem Ohr zugehört. Parfaits waren für sie ein Pendant zu einem katholischen Priester oder einer Ordensfrau. Dass ihre Askese das Ideal für alle sein sollte, erschien ihr völlig absurd.
Flambert tastete nach ihrer Hand, bevor sie etwas erwidern konnte. »Lass … lass, meine Liebste, meine Dame … es ist Zeit zu gehen, Zeit, die Seele zu befreien. Auch von den süßesten aller Fesseln …«
»Aber Flambert …« Sophia zog seine Hand an ihre Lippen.
»Also wollt Ihr jetzt das Consolamentum oder nicht?«, fragte der Diakon gereizt. »Wenn ja, muss das Mädchen gehen. Und was ist das hier? Wein?«
Geneviève drückte der Freundin den Weinkrug in die Hand und schob sie hastig hinaus. Der Diakon packte derweil sein Evangelium aus und begann zu beten. Sophia fühlte sich kalt, leer und geschlagen, zu Tode erschöpft, aber auch zornig auf Gott und die Welt. War Flamberts seltsamer Glaube es wert, dafür zu sterben? War überhaupt irgendein Glaube das wert? Oder eine Burg? Oder ein Erbe?
Inzwischen war es dunkel geworden, und Sophia tastete sich die steilen Stiegen vom Küchenausgang des Rittersaales zum Burghof herab. Sie hoffte, hier niemanden zu treffen – am allerwenigsten einen nach der Schlacht betrunkenen Ritter. Nervös schaute sie über den Hof – und wäre dabei fast über die in sich zusammengesunkene Gestalt gestolpert, die auf der untersten Stufe hockte.
Dietmar.
Im schwachen Mondlicht wirkte er verloren, fast kindlich. Ein Junge, den man ausgesperrt hatte. Bestraft für irgendeinen dummen Fehler, den er vielleicht nicht einmal einsah. Sophia fühlte, wie ihre Wut und das Gefühl von Hilflosigkeit schwanden. Wärme breitete sich in ihr aus. Sie setzte sich neben Dietmar.
»Ist er tot?«, fragte der junge Ritter tonlos.
Sophia schüttelte den Kopf. »Nein. Noch nicht. Aber sie taufen ihn jetzt und befreien seine Seele – von mir.« Sie rieb sich die Stirn.
Dietmar sah sie an. »Ich würde mich niemals von Euch befreien lassen«, sagte er leise.
»Das ginge auch gar nicht«, flüsterte sie mit gesenktem Kopf und fröstelte.
Dietmar legte ihr seinen Mantel um. »Euer schönes Kleid … es ist ganz voll Blut …«
Sophia nickte und blickte auf. »Euer Wappenrock auch«, sagte sie. »Ich wünschte, ich müsste kein Blut mehr sehen.«
Dietmar kämpfte den Drang nieder, die junge Frau in die Arme zu nehmen. »Es tut mir leid … das mit Flambert«, murmelte er.
»Es war nicht Eure Schuld.« Sophia stützte den Kopf in ihre Hände. »Und es war auch nicht richtig …«
»Das hat er auch gesagt«, meinte Dietmar. »Aber deshalb hätte er nicht gleich sterben müssen. Und es war meine Schuld. Er forderte diesen Mathieu, um mir zu helfen.«
»Mathieu de Merenge? Der hat ihn getötet? Er ist ein schrecklicher Mensch!«
Sophia blickte Dietmar zum ersten Mal an, und er erkannte den Ausdruck in ihrem zarten Gesicht fast schmerzlich wieder. Sie wirkte so viel jünger, so kindlich und verschreckt wie damals in Mainz …
»Er war ein schrecklicher Mensch«, korrigierte Dietmar. »Ihr braucht Euch nicht mehr vor ihm zu fürchten. Ich habe ihn erschlagen.«
Sophia seufzte. »Ich weiß, das gehört dazu«, flüsterte sie. »Ritter müssen … das Böse bekämpfen. Das macht sie zu Rittern. So sollte es zumindest sein. Aber mein Vater …«
Dietmar rückte näher an sie heran. »Ich war Eures Vaters Feind. Und es gab einiges, das man gegen Roland von Ornemünde sagen konnte«, sagte er ehrlich. »Aber er war nicht feige wie Mathieu, er hat tapfer gekämpft. Und er war stark. Ich konnte ihn nur besiegen, weil er vom Kampf mit meinem Pflegevater erschöpft war.«
»Es ist egal«, sagte Sophia leise. »Bitte, Ihr müsst es mir nicht erzählen. Ich … ich verzeihe Euch.«
Dietmar schüttelte den Kopf. »Sophia, ich
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