Das Erbe der Pilgerin
immer noch matt und fiebrig auf seinem Lager.
Auch Geneviève tanzte nicht mit auf den Straßen wie die anderen Bewohner von Toulouse, Katholiken wie Albigenser. Sie hatte sich wieder gefangen, aber sie war nach wie vor still und rührte sich nicht von Rüdigers Lager. Immerhin baute sie ihre Berührungsängste schnell ab. Sie pflegte ihren Ritter mit sanften Händen, und sie wagte kleine Zärtlichkeiten und Küsse.
Graf Raymond reagierte zunächst mit einer gewissen Eifersucht auf ihre Zuwendungen Rüdiger gegenüber. Er befahl sie mehrmals zu sich, aber sie beschied ihn stets mit ihren Verpflichtungen zur Krankenpflege. Schließlich tat der Graf Rüdiger die Ehre und stellte sich zu einem Krankenbesuch ein. Die Kreuzritter zogen seit drei Tagen ab, und Raymond hatte seinen Dauerrausch ausgeschlafen. Lächelnd begrüßte er Geneviève, die ihm die Tür öffnete.
»Und? Seid Ihr nun mit mir zufrieden, meine liebe Geneviève?«, fragte er stolz. »Habe ich Euch nicht versprochen, die Kreuzfahrer zu verjagen?«
Geneviève wandte ihr blasses Gesicht zu ihm auf. »Wir haben sie aus Toulouse vertrieben«, antwortete sie. »Anderswo werden sie weiter wüten …«
Der Graf verzog missbilligend das Gesicht. »Sie kriegt nie genug! Habt Ihr das auch schon herausgefunden, Herr Rüdiger?«
Er trat an das Lager des Ritters und war erschrocken, ihn tatsächlich immer noch so schwach und in Verbände gehüllt vorzufinden. Raymond hatte seine Unfähigkeit, das Bett zu verlassen, eher auf Genevièves neu erwachte Leidenschaftlichkeit zurückgeführt.
»Ich werde ihr alles schenken, was sie begehrt«, sagte Rüdiger und bedachte die junge Frau mit liebevollen Blicken. Viel mehr konnte er ihr immer noch nicht bieten, seine Rippen heilten langsam, aber sein Arm war noch zu schwach, um sie zu umfangen.
»Dann schaut schon mal aus, wo Ihr ein Heer auftreibt, um Okzitanien Frieden zu bringen«, höhnte der Graf. »Eure Dame fühlt sich nämlich verantwortlich für jeden einzelnen Ketzer, den wir hier aufbieten können.«
Rüdiger sah Raymond ruhig an. »In Falkenberg herrscht Frieden«, sagte er würdevoll. »Und Geneviève wird für alle Menschen in unseren Dörfern und auf unseren Höfen verantwortlich sein. Das sollte ihr genügen. Ich fürchte allerdings, darunter sind sehr wenige Ketzer. Sie wird also auch etwas predigen müssen.«
Er lächelte Geneviève zu, aber die nahm die Neckerei schlecht auf. Sie errötete zutiefst und wandte sich ab.
»Ich hoffe, ich habe dich nicht verletzt, meine Liebste …«, rief Rüdiger ihr besorgt nach.
Geneviève schüttelte den Kopf, kam zurück und küsste ihn auf die Stirn. »Ich predige nicht«, sagte sie leise. »Es wäre mir ohnehin verboten gewesen, ich war … hoffärtig. Aber mein Gatte wird mich auch nicht hindern, meinen Gott anzubeten …«
Der Graf schwieg. Er wusste, wann er verloren hatte, und dieses Paar, das war nicht zu übersehen, hatte nur Augen füreinander. Raymond war zwar ein Draufgänger und Weiberheld, aber er hatte auch eine großherzige Seite. Der geschlagene, für immer geschädigte Mann auf dem Bett dauerte ihn – ebenso wie das Mädchen, das am Sterbebett seines Bruders und im Kampf um Toulouse seinen Glauben verloren hatte. Wenn Rüdiger das genügte, was von Geneviève übrig war, und wenn sie den Kranken seiner eigenen lebenssprühenden Männlichkeit vorzog – sollten sie einander haben!
»Ich würde mich freuen, wenn Ihr Euch noch hier, im Kreise meiner Ritter Eide schwören würdet!«, lud der Graf das Paar freundlich ein. »Gemeinsam mit Seigneur Jean und seiner streitbaren kleinen Esclarmonde …« Er lachte beim Gedanken an seinen gelungenen Coup mit dem Adelstitel für das Bauernmädchen. »Ich werde ein Bankett für sie ausrichten, sobald sie bereit sind – aber sie warten auf Euch, Herr Rüdiger. Also werdet gesund!«
»Und das bitte schnell!«, meinte Hansi, der gleich am Abend neugierig nachfragen kam, was der Graf denn wohl gewollt hatte. »Der Allergnädigste kriegt nämlich gar nicht mehr genug davon, mein Klärchen mit Gunstbeweisen zu überhäufen. Wobei ich nichts dagegen habe, dass er ihr Schmuck und Kleider schenkt. Sie ist ja nun wirklich nicht höfisch ausgestattet, und ich habe kein Geld. Aber seine Finger soll er doch bitte schön bei sich lassen …«
Geneviève zuckte die Schultern. »Darauf wird die Herrin Leonor wohl bald ein Auge haben«, meinte sie. »Sie ist ja unterwegs, wie ich hörte, ebenso wie Prinzessin Sancha,
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