Das Erbe der Pilgerin
Vorteile als den Schießstand. Gerlin, Roland wird nicht gleich klein beigeben, nur weil wir uns vor seinen Toren aufbauen! Darauf wartet er seit Jahren, das schreckt ihn nicht so sehr, wie du hoffst. Wir werden auch nicht einmal angreifen und siegen. So laufen Belagerungen nicht, die sind langwierig. Es kann gut und gern ein Jahr oder länger dauern, bis Roland ausreichend zermürbt ist, sich zur Schlacht zu stellen. Bis dahin haben wir vor allem seine Burg zu beobachten und Nachschubwege zu verstellen. Wenn wir das von einem Zeltlager aus machen, zermürben wir unser Heer schneller als ihn. Also beschäftigen wir die Leute jetzt erst mal, indem wir eine Trutzburg bauen. Im Winter bietet die uns dann Schutz vor dem Wetter, Übersicht – einen Stützpunkt eben, von dem aus man den Belagerten auch gern mal ein paar Knochen rüberschießen kann, wenn man wieder mal einen Ochsen gebraten hat, während sie drinnen von altem Brot und Bohnen leben. Krieg hat nichts mit Artusromanen zu tun, Gerlin. Ich weiß, das ist dir klar, aber in den nächsten Monaten wird es dir noch sehr viel klarer werden.«
Gerlin stimmte dem Bau also zu – und sah die Notwendigkeit auch schon auf dem Ritt nach Lauenstein ein. Die vielen Jahre im südlichen Frankreich hatten sie verwöhnt, sie war schlammige Wege, Dauerregen und Kälte, klamme Decken und Zelte, die nur notdürftig vor dem Wetter schützten, nicht mehr gewöhnt. Widerwillig hüllte Gerlin sich in ihren dicksten Reitmantel, während ihre Stute sich durch den Morast über die Waldwege tastete und der Regen von den Bäumen herab in ihren Nacken tropfte. Auf einem solchen Ritt hatte sich Dietrich weiland den Tod geholt – und Gerlin ertappte sich dabei, ihren Sohn mit Sorge zu beobachten. Aber Dietmar war von blühender Gesundheit und Feldlager obendrein gewöhnt. Dazu fieberte er Lauenstein entgegen – das Wetter nahm er gar nicht wahr.
Am ersten wichtigen Tag des Feldzugs schien dann allerdings die Sonne, und Gerlin war fast glücklich. Genau so hatte sie es sich immer vorgestellt – ihr Sohn an der Spitze einer Streitmacht, fest entschlossen zur Rache. Und sie konnte das nun miterleben. Sie beobachtete, wie die Ritter auf der freien Fläche vor der Burg, die den Wehrbau vom Dorf Lauenstein trennte, aufmarschierten. Alle saßen in voller blank polierter Rüstung auf prachtvollen Pferden, herausgeputzt mit bunten Schabracken in den Farben der Reiter. Die Dörfler, die sich neugierig heranschlichen, konnten sich kaum an dem Anblick sattsehen. Florís dachte daran, sie wegzuschicken, aber dann überlegte er es sich anders. An diesem Tag würde es noch nicht zu Kampfhandlungen kommen, sollten die Leute also teilhaben an dem Schauspiel. Später würde von ihrer Unterstützung einiges abhängen, also war es gut, wenn sie sich jetzt am Anblick ihres jungen Burgherrn und seiner Streitmacht weideten. Nicht zu vergessen an den seiner Mutter – von der Florís selbst den Blick kaum wenden konnte. Gerlin trug ein Gewand aus weißem Brokat und war festlich geschmückt, und ihr züchtiges Gebende zierte ein fein ziselierter goldener Schepel. Florís saß neben ihr auf seinem Schimmel und lächelte ihr zu. Sein Schild – lange nicht im Kampf getragen – war mit bunt bemalter Leinwand neu bespannt. Roland würde von den Zinnen der Burg aus sehen, dass sein alter Widersacher niemals aufgegeben hatte.
Conrad von Neuenwalde trennte sich jetzt von der Gruppe der Ritter und nahm feierlich den Fehdebrief von Dietmar in Empfang. Andere Ritter überreichten ihm ebenfalls ihre Schreiben. Florís sprengte vor, um das seine abzugeben, ebenso Rüdiger, dessen Augen übermütig funkelten. Er freute sich erkennbar auf den Kampf. Gerlin war trotz ihres Hochgefühls ein wenig mulmig zumute, aber die Männer schienen furchtlos und entschlossen.
Jetzt trennte sich Herr Conrad vom Heer und galoppierte auf seinem fuchsfarbenen Hengst auf die Burg zu, die stolz vor der Felsenkulisse und der bewaldeten Kuppe eines Berges prangte. Lauenstein war so schön wie trutzig, Gerlin konnte sich noch gut an das Gefühl erinnern, das sie empfunden hatte, als sie ihre künftige Heimat zum ersten Mal sah. Sie war überaus beeindruckt gewesen und natürlich auch etwas ängstlich. Im Vergleich zu ihrer Heimatburg Falkenberg war Lauenstein ein Schloss. Aber sie hatte Florís und Salomon von Kronach neben sich gehabt, die ihr Halt gegeben hatten – jeder auf seine Art.
Gerlin dachte mit kurzem Schmerz an Salomon. Auch er
Weitere Kostenlose Bücher