Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Faizah fern.
Diesmal jedoch gab es sich sehr seltsam. Anders als bei den vorangegangenen Fütterungen kam das Baumhörnchen Ajana nicht mit fröhlichem Gezeter entgegengesprungen. Als sie die Tasche öffnete, blieb alles ruhig.
Im ersten Augenblick fürchtete Ajana, das Lavinci habe sich mit den scharfen Zähnen durch das Leder genagt und sei ausgerissen. Doch als sie die Tasche anhob und von allen Seiten betrachtete, fand sie diese unbeschadet vor.
Vorsichtig öffnete sie die Lasche und schaute hinein. Das Lavinci lag zusammengerollt wie ein Igel in einer Ecke, die kleine spitze Nase tief im eigenen Fell verborgen, und rührte sich nicht. Als Ajana es vorsichtig mit dem Finger berührte, zuckte es erschrocken zusammen und versteifte sich, und auch als sie es mit einer Pacunuss lockte, zeigte es keine Regung. Besorgt nahm Ajana das Baumhörnchen in die Hand und ging damit zu Faizah hinüber, die ganz in der Nähe an einen Felsen gelehnt saß.
Die junge Uzoma war noch immer gefesselt, wenngleich Bayard nach dem engen Tunnel darauf verzichtet hatte, ihr die Hände erneut auf den Rücken zu binden, um ihr das Fortkommen in dem unwegsamen Gelände zu erleichtern.
Ajana setzte sich neben sie und hielt ihr das kleine Fellknäuel behutsam entgegen. »Was ist mit dem Lavinci?«, fragte sie. »Ist es krank?«
Faizah betrachtete das Baumhörnchen eine Weile stumm und strich ihm mit einem Finger sanft über das weiche Fell. »Es hat Angst«, stellte sie fest.
»Angst?« Ein eisiger Schauer lief Ajana über den Rücken, als sie sich daran erinnerte, wie erschrocken das Lavinci sich verhalten hatte, als sie die geheimnisvollen Schatten zum zweiten Mal zu sehen geglaubt hatte. »Oona sagte, Lavincis hätten ein sehr feines Gespür für Gefahr«, hörte sie Faizah sagen. »Vielleicht ängstigt es sich vor dem Aotum .«
»Das mag sein!« Ajana nickte. Tatsächlich war das rätselhafte Atmen der Berge im Verlauf ihrer Reise beständig angeschwollen, doch war es ihnen mittlerweile schon so vertraut, dass für sie nichts Bedrohliches mehr darin lag.
»Du fürchtest dich auch«, stellte Faizah in diesem Augenblick fest.
»Wie kommst du darauf?« Ajana gelang es nur schwerlich, den überraschten Ton in ihrer Stimme zu unterdrücken. Hatte sie ihre Ängste wirklich so schlecht vor den anderen verborgen?
»Ich sehe es in deinen Augen, wenn du in die Schatten blickst«, erwiderte Faizah und strich sich beiläufig eine kurze Haarsträhne aus der Stirn. »Die Furcht ist mir vertraut wie eine Schwester. Sie hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Furcht vor dem nächsten Morgen, vor Schmerzen und Folter – vor dem Tod. Furcht vor dem Schrecken, der in der Dunkelheit lauert, und vor dem namenlosen Grauen, das hinter jeder Ecke warten kann.« Sie lachte bitter. »Die Aura deiner Furcht ist so groß, dass ich sie selbst mit geschlossenen Augen noch spüre.« Sie machte eine kurze Pause und schien etwas zu überlegen. Dann bedeutete sie Ajana durch einen Fingerzeig, sich noch etwas weiter zu ihr herunterzubeugen, und flüsterte: »Was siehst du in den Schatten? Was fürchtest du?«
»Nichts«, erwiderte Ajana knapp. Sie wollte nicht darüber sprechen, fühlte aber, dass Faizah sich mit dieser Antwort nicht abfinden würde, und fügte ergänzend hinzu: »Es ist nur die Dunkelheit … und die Stille, das beklemmende Gefühl der Tonnen von Felsgestein über meinem Kopf oder …«
»… oder etwas gänzlich anderes?« Faizah musterte sie aufmerksam: »Dunkelheit, Stille und Enge belasten uns alle gleichermaßen«, sagte sie. »Es ist wohl keiner unter uns, der sich nicht nach dem Anblick des endlosen Himmels sehnt. Du aber trägst noch eine andere Furcht in dir.« Sie deutete auf das Lavinci. »So wie La.«
»Unsinn!« Ajanas Antwort kam ein Spur zu schnell, um glaubhaft zu wirken. »Es ist wirklich nur die ungewohnte Dunkelheit und die Sorge, dass wir uns hier unten verlaufen könnten, die …«
Schritte näherten sich, und Ajana verstummte. Sie schaute sich um und erkannte Keelin, der mit ihrem fertig geschnürten Bündel auf sie zukam.
»Wir brechen auf!«, erklärte er knapp und reichte es Ajana, ehe er die Fesseln der Gefangenen noch einmal überprüfte, ohne Faizah selbst auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Danke!« Ajana wusste, dass Keelin ihren freundschaftlichen Umgang mit der jungen Uzoma nicht billigte, war aber fest entschlossen, sich durch ihn nicht beeinflussen zu lassen. Sie empfand keinerlei Feindschaft der
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