Das Erbe der Runen 2 - Die Feuerpriesterin
Lebens verlassen hatten, weil sie sich nicht mit dem Ende ihres Daseins hatten abfinden wollen. In der Hoffnung, dem Lauf des Schicksals zu entfliehen und das Blatt noch einmal wenden zu können, hatten sie die Flussufer erklommen und vergeblich versucht, in die Welt der Sterblichen zurückzugelangen.
Ausgestoßen aus dem stetigen Strom jener, die bereit waren zu gehen, ohne jede Aussicht auf einen neuen Anfang und zu einem freudlosen Dasein in der kalten Zwischenwelt verdammt, harrten sie nun in tiefer Verzweiflung am Fuße des heiligen Berges aus, in der Hoffnung, den Hauch des Lebens, nach dem es sie so sehr verlangte, noch einmal zu verspüren.
Lasst sie nicht vorbei , hörte die Magun sie leise wispern, und andere forderten gar: Treibt sie fort!
»Ich werde nicht weichen!«, beharrte die Magun und forderte noch einmal: »Gebt den Weg frei!«
Das Wallen der Nebel wurde stärker.
Sie will es uns fortnehmen , wisperten die Stimmen und klagten: Das Leben, die Wärme … Bleibt standhaft. Sie will es uns fortnehmen.
Die junge Göttin machte einen Schritt auf die Nebel zu, die erschrocken zurückwichen.
»Ihr kennt mich nicht«, sagte sie selbstbewusst. »Aber ich kenne euch.« Sie senkte die Stimme und fuhr bedrohlich leise fort: »Und ich kenne das Wort der Macht, das euch in die Dunkelheit zurückschleudern wird. Wer glaubt ihr zu sein, dass ihr euch anmaßt, der Tochter einer Göttin den Weg zu verwehren …«
Eine Göttin … eine Göttin …
Die Worte der Magun versetzten die Nebel in Aufruhr.
Das ist unmöglich … unmöglich! , wisperten sie, und andere riefen: Sie schlafen … sie schlafen!
»Ihr denkt, ich will euch täuschen? Ihr glaubt, es sei alles nur ein Blendwerk?« Die junge Göttin hob drohend die Arme. »Nun, vielleicht werdet ihr die Wahrheit erkennen, wenn ihr euch in der fernen dunklen Welt jenseits dieser Gestade wiederfindet.«
Nein! O nein! Nicht fortschicken, nicht dorthin … Jammerten die Körperlosen demütig. Eine Weile noch huschten sie unschlüssig umher, dann gaben sie, wenn auch widerstrebend, den Weg frei, der vom Flussufer zur heiligen Halle hinaufführte.
Die junge Göttin zögerte nicht, sie zu betreten. Irgendwo dort oben harrte der Wanderer ihrer Hilfe, und sie würde ihn nicht enttäuschen.
Der Weg führte nun stetig bergan. Nach dem langen Abstieg waren die Tunnel und Gänge für eine kurze Weile fast eben verlaufen, bevor sie zunächst sanft, dann aber immer steiler wieder anstiegen.
Ajana spürte es in den Beinen. In der vollkommenen Dunkelheit der unterirdischen Welt waren die Erhebungen kaum mit dem Auge auszumachen, doch anders als zuvor musste sie nun viel mehr Kraft aufwenden, um mit den anderen Schritt zu halten. Es dauerte nicht lange, bis sie wieder das schmerzhafte Stechen in der Seite verspürte, das sie schon beim Aufstieg zum Pass am Wilderwil geplagt hatte, und zum ersten Mal seit Beginn der Reise geriet sie außer Atem.
Doch damit war sie nicht allein. Immer häufiger hörte sie Maylea hinter sich aufkeuchen und leise Flüche ausstoßen. Die junge Wunandamazone hatte sich bisher tapfer geschlagen und sich die Schmerzen ihrer immer wieder aufreißenden Wunden nicht anmerken lassen. Nur einmal hatte Ajana im Verlauf einer Rast bemerkt, dass sie einen blutgetränkten Verband wechselte, und sie besorgt darauf angesprochen. Aber Maylea hatte unwirsch reagiert und ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie keine Rücksichtnahme wünschte. Was Verletzungen und Schwäche anging, waren die stolzen Wunand scheinbar sehr eigen.
Doch nicht nur Ajana und Maylea, auch die Krieger hatten ihre Mühe mit dem ansteigenden und oft von losem Geröll bedeckten Boden. Die Schritte wurden immer schwerfälliger, und bald kamen sie nur noch langsam voran. So hatte auch niemand etwas dagegen einzuwenden, als Ghan und Nahma früher als geplant einen Rastplatz auswählten. Es war ein kleiner, dunkler Hohlraum, der zwei schmale Tunnel miteinander verband, gerade so groß, ihnen allen Platz zu bieten, jedoch nicht groß genug, um einen angemessenen Abstand zwischen den beiden Gruppen wahren zu können.
Ajana hörte, wie Bayard sich deshalb bei Ghan beklagte, und sah, wie der Vaughn den Kopf schüttelte. Was er sagte, konnte sie nicht verstehen. Die ohnehin sehr wortkargen Wegfinder sprachen, seit sie die Höhlen durchwanderten, ausgesprochen leise und nur dann, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ajana wusste, dass weder Ghan noch Nahma Mühe hatten, die
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